Ein wilder Stier im Garten - Die Skulptur "Herakles, den kretischen Stier bändigend" im Schweriner Burggarten

Denkmal des Monats Juli 2016

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Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, Burggarten, Orangeriekolonnade

Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, Burggarten, Orangeriekolonnade

Auf einem in eine begehbare Kolonnade eingebundenen Tor, das den Zugang zur Orangerie im Schweriner Burggarten gewährt, befindet sich eine Skulptur (Abb. 1). Sie zeigt einen Mann, der mit all seinen Kräften versucht, einen Stier zu bewältigen. Eine am Sockel dieser Skulptur angebrachte Tafel klärt auf, dass es sich um "Herakles, den kretischen Stier bändigend" handelt. Was macht nun ein wilder Stier in einem fürstlichen Garten?

Mit der Übernahme der Leitung des Schlossbaus durch Friedrich August Stüler im Jahre 1851 erfolgten teilweise Änderungen der bisherigen Planungen Georg Adolph Demmlers. Dazu gehörte auch die Partie an der Orangerie. Demmlers Plan sah vor, den Orangeriehof mit einer Architektur rechtwinklig zu schließen. Stüler revidierte den Plan dahingehend, indem er die wesentlich leichter wirkende Kolonnade im Halbrund mit einem mittigen Tor aufführen ließ. Als Bekrönung des Tores sah er die Figur des Heiligen Georg vor. Eine Reiterfigur zeigen auch zwei ideale Schlossansichten aus den beginnenden 1850er Jahren, nämlich ein Stahlstich sowie eine von Friedrich Jentzen geschaffene Lithographie.

Als bekrönenden Abschluss erhielt das Tor jedoch den nicht Heiligen Georg, sondern eben jenen Herakles, der mit dem kretischen Stier ringt. Die etwas überlebensgroße Skulptur aus Zinkguss schuf der Berliner Bildhauer August Kriesmann im Jahr 1853. Sein Namenszug und die Datierung seines Werks sind an der Plinthe der Skulptur zu sehen (Abb. 2). Hergestellt wurde sie von August Fütterer in Berlin.

Ein originales Dokument, welches bei den 1990 erfolgten Restaurierungsarbeiten im linken vorderen Huf des Stieres gefunden wurde, bestätigt diese Angaben. Auf dem vergilbten, stark holzhaltigen, mehrfach gefalteten und in ein Leinentuch gewickelten Papier wird handschriftlich folgendes mitgeteilt:

Diese Gruppe ist modellirt von August Kriesmann in Berlin
Gegossen von W: Winkelmann in Berlin
Zusammengestellt und broncirt von dem Köngl Hof: Mechanicus u Ciseleur:
A Fütterer in Berlin
im Jahr Des Herrn 1853.
Dieses Dokument sei für die Nachwelt. Wer es findet, schicke es nach Berlin,
nach der Oranienstrasze No 91 […].

Um den Anschein einer antiken Skulptur zu erwecken, wurde sie bronziert. Im 19. Jahrhundert war es durchaus üblich, Skulpturen aus Zinkguss mit einer imitierenden Farbschicht zu versehen und so die Verwendung eines edleren Materials, beispielsweise Sandstein, Marmor oder eben Bronze, vorzutäuschen.

Aus einem Kostenvoranschlag für den Schlossbau von 1855 geht hervor, dass das Standbild 1853 noch nicht aufgestellt war, sondern das dies erst noch erfolgen sollte. Für den Transport des "Stierbändigers" von Berlin nach Schwerin und das Aufstellen wurden 800 Taler veranschlagt. Doch weshalb hat man sich für die Illustration gerade dieses Themas aus der griechischen Mythologie entschieden?

Zweifellos gehört Herakles zu jenen Heroen der Griechen, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Seine Verehrung unterschied sich von der eines Gottes kaum. Zahlreiche Künstler des Altertums und auch darüber hinaus versuchten, sich seiner Person zu nähern, seine Psyche zu erfassen und ihn bildkünstlerisch darzustellen. Er entstammte der Verbindung von Zeus und Alkmene. Sein Leben wurde deshalb von Hera, Zeus‘ eifersüchtiger und betrogener Gemahlin, überschattet, die ihn in einem von ihr hervorgerufenen Wahnsinnsanfall seine Gattin Megara und seine Kinder töten ließ. Zur Besinnung gelangt, erkannte er sein schreckliches Werk und bat das Orakel von Delphi um Rat, das ihm Knechtschaft und die Lösung lebensgefährlicher Aufgaben auftrug. Für seinen Cousin Eurystheus, König in Mykene, hatte er nun zwölf schwere Arbeiten auszuführen.

Die siebente Aufgabe bestand darin, den kretischen Stier zu bändigen. Dieser war aus den Meereswellen aufgestiegen und sollte nach einem Versprechen, welches König Minos dem Meeresgott Poseidon gegeben hatte, für den Gott geopfert werden. Doch König Minos opferte stattdessen einen anderen Stier, weil jener den König durch seine Vollkommenheit entzückte. Zudem hatte sich die Gemahlin des Königs in das Tier verliebt. Aus jener Verbindung ging Minotaurus hervor. Poseidon, erzürnt über das ihm vorenthaltene Opfer, ließ den wilden Stier die Insel verwüsten. Eurystheus forderte nun Herakles auf, er möge den Stier lebend zu ihm bringen. Mit einem Kraftakt bezwang Herakles das Tier, indem er es zu Boden riss und auf den Rücken warf. Er trug es bis zum Meer auf seinen Schultern und ließ sich im Wasser von dem Bezwungenen tragen. König Eurystheus wollte den Stier Hera opfern, doch nahm sie das Opfer nicht an, so dass der Stier freikam.

Die Skulptur bildet den Moment des Versuchs Herakles‘, den rasenden Stier zum Stehen zu bringen, ab. Er ergreift die Hörner des massigen kraftstrotzenden Tieres, um es aufzuhalten. Deutlich wird die Kraftanstrengung, die der muskulöse Held aufbringen muss, um den Stier zu bezwingen will. Deutlich wird aber auch die Kraft, die der Stier dagegensetzt (Abb. 3).

Herakles stemmt sich gegen eine Erhebung im Boden. Sein Oberkörper und sein linkes Bein bilden eine Diagonale, die das Vorwärtsstreben des Stieres auffängt und Spannung in die Skulptur bringt. Dadurch, dass er den Kopf des Stieres nach hinten reißt, wird vernehmlich, dass der Stier aufgehalten werden kann. Herakles ist bei seinem Tun äußerst angespannt. Die in Falten gelegte Stirn und der starre Blick zeigen ihn hochkonzentriert (Abb. 4). Seine für ihn typischen Attribute sind zur Staffage geworden: Das Fell des Nemeischen Löwen, den er erlegen musste, um die erste Aufgabe für Eurystheus zu erfüllen und das er fortan trug, weil es ihn unverwundbar machte, gleitet ihm vom Körper. Am Boden liegt die knorrige Keule, die er sich aus einem Ölbaum schnitze.

Diese Szene ist zweifellos sehr dramatisch, doch ist es nicht die Dramatik allein, die Veranlassung zur Aufstellung einer solchen Skulptur gegeben haben wird. Vielmehr versinnbildlicht der Stier als Allegorie die solare zeugende Kraft. Übertragen auf den Standort, die Orangerie des Schlosses, symbolisiert er somit die natürlichen Gegebenheiten, die für das Wachstum und das Gedeihen der Pflanzen notwendig sind. Der Mensch nutzt sie zu seinen Gunsten, muss sie aber beeinflussen, um zu optimalen Ergebnissen zu gelangen. Es ist für ihn ein ständiger Kampf mit der Natur. Somit ist die Skulptur auch Sinnbild für menschliche Schöpferkraft und Stärke sowie das Wechselspiel von Natur und Mensch und bezieht sich ikonographisch unmittelbar auf die Orangerie. In Verbindung mit dem Tor, das sie bekrönt und das die Form eines Triumphtores hat, kann sie auch als Allegorie des Triumphes über die Natur gedeutet werden. Im Orangereihof zeigt sich dieser Triumph als ornamentales Teppichbeet, wie es in der Natur nicht vorkommt. Zusätzlich verleiht die Skulptur als vermeintliche antike Bronze der Gartenanlage südländisches Flair (Abb. 5).

Dirk Handorf

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