Brief von Martin Luther
Beschreibung
Brief Martin Luthers an Herzog Heinrich V. von Mecklenburg.
Frühneuhochdeutsch, eigenhändig auf Papier.
Wittenberg, 27. November 1529.
Luther bittet Herzog Heinrich, einen Druck des Neuen Testaments des Hieronymus Emser, der in Rostock vorgenommen werden soll, zu verhindern.
LHAS, 2.12-1/24 Korrespondenz der Herzöge mit Gelehrten, Nr. 1 (Briefe von Martin Luther), Brief Nr. 2.
[Abb. 1]
Gnad[a] und fride ynn Christo. Durchleuchtiger hoch-
geborner furst, gnediger herr. Ich zweifel nicht,
Mein gnedigster herr, der kurfurst zu Sachsen etc.,
werde aus meiner unterthenigen bitte[b] Euer furstlich gnaden
geschrieben haben, odder werde yhr kurtzlich schreiben,
eines drucks halben, so zu Rostock furgenomen.
Denn wie von redlichen leuten aus Lübeck statlich
bericht, das ettlich Lolbruder des [E][c]msers testament
sechsischer sprache [d]zu Rostock[d] ynn druck geben. Daraus sie sorgen,
das mergklicher schade den fruomen seelen begegen
mocht, und mich hochlich gebeten, das ich bey
meinem gnedigen herrn, dem kurfursten zu Sachsen, umb
eine schrifft an Euer furstlich gnaden erbeten wolle. Welchs ich
denn gethan, und guter hoffnung bin, es sey odder
werde geschehen. Wiewol ich nuo des Emsers
testament dem text nach wol leiden mag, als
der fast gantz und gar mein text ist, und auch
mir abgestolen ist[e] von wort zu wort. Aber
seine gifftige zusetze, gloßen und annotation, aus
seinem neydischen kopff mir zu verdries hinzu
gethan, ferlich sein mochten, umb welcher willen
am meisten solch testament des Emsers gedruckt
wird. Bitte ich auch untertheniglich, Euer furstlich gnaden
wollen dem Evangelio Christi zu ehren und
allen seelen zur rettung (wo es moglich ist)
solchen druck nicht gestatten. Angesehen das, wo
solcher druck durch Euer furstlich gnaden vergonst odder nach-
[Abb. 2]
lassen ausgienge, mochte der Satan hernachmals Euer furstlich gnaden
gewissen rüren und beschweren, als hetten sie solchen
grossen schaden der seelen bewilligt damit, das sie
es nicht hetten verhindert, da sie wol raum und
zeit gehabt. Ich hoffe aber und bitte, Christus
werde Euer furstlich gnaden, als einem liebhaber des wortts Gottes,
weitter wol eingeben zu thun, das seinem gottlichen
willen lieb sey. Amen. Euer furstlich gnaden wollen mir
mein [e][f]msiges, aber doch notiges und guter mey-
nung schreiben, gnediglich zu gut halten. Hie
mit Gott befolhen. Amen. 1529 Am
Sonnabent nach Katherine
Euer furstlich gnaden
Williger
Martinus Luth[er][7]
[Abb. 3]
Dem durchleuchtigen hochgebor-
nen fursten und herrn, herrn
Heinrichen, hertzogen von
Mecklenburg etc., mey-
nem gnedigen herrn
D. Martinus Lutther Embsers
Testaments halber Gustrow
18. decembris 1529[h]
[a] In der linken oberen Ecke Registraturvermerk “ponatus ad 57” (gestrichen).
[b] n gestrichen.
[c] Fehlstelle im Papier.
[d]-[d] Auslassungszeichen, "zu Rostock" am linken Rand ergänzt.
[e] "f" gestrichen.
[f] Fehlstelle im Papier.
[g] Verwaschen.
[h] Eingangsvermerk von anderer Hand.
Erläuterung
Die große Wirksamkeit von Martin Luther, der Leitfigur der Reformation, lag auch darin begründet, dass er in ständigem Kontakt mit den meisten bedeutenden Gelehrten, Geistlichen und Fürsten seiner Zeit stand, auch mit solchen aus Mecklenburg. Der vorliegende ist einer von insgesamt fünf eigenhändigen Briefen Martin Luthers, die sich heute im Landeshauptarchiv Schwerin befinden und die u. a. an Herzog Heinrich V. und seinen Sohn Magnus, den Administrator des Bistums Schwerin, gerichtet sind.
Der Brief zeigt sehr deutlich, wie groß das Kommunikationsnetzwerk war, in dessen Zentrum Luther stand, und wie weiträumig Nachrichten und Informationen in der Reformationszeit kursierten: Martin Luther wurde in Wittenberg von "redlichen Leuten aus Lübeck" darüber informiert, dass eine katholische Ausgabe des Neuen Testaments des Dr. Emser in Rostock gedruckt werden solle, und gebeten, ein Schreiben des Kurfürsten von Sachsen an den Herzog von Mecklenburg zu erwirken, um den Druck zu verhindern.
Bei Hieronymus Emser handelt es sich um einen katholischen Theologen, der mehrere Streitschriften gegen Luther und seine Lehre verfasst hatte. 1527 hatte Emser eine deutsche Übersetzung des Neuen Testaments herausgegeben, die aber – wie Luther auch im vorliegenden Brief betont – im Wesentlichen der Lutherausgabe entsprach und lediglich zahlreiche antilutherische Kommentare und Anmerkungen enthielt. Luther schrieb, dass Emser "giftige Zusätze, Glossen und Annotationen aus seinem neidischen Kopf mir zum Verdruss hinzugetan" habe, die "gefährlich" seien. Emser war bereits 1527 gestorben, doch seine Ausgabe des Neuen Testaments erlebte zahlreiche weitere Auflagen. So sollte auch eine niederdeutsche Ausgabe ("in sächsischer Sprache") in der Druckerei der "Brüder vom Gemeinsamen Leben" in Rostock hergestellt werden. Diese "Brüder vom Gemeinsamen Leben" – Luther nannte sie mit einem zeitgenössisch abschätzigen Begriff "Lolbrüder" – waren eine klosterähnlich zusammen lebende Gemeinschaft von Geistlichen, die in Rostock vor allem dadurch bekannt wurden, dass sie die erste Druckerei Mecklenburgs – und nach Lübeck die zweitälteste in ganz Norddeutschland – betrieben und bereits 1476 das erste Buch gedruckt hatten. Das unter dem Namen "Michaeliskloster" bekannte, ehemalige Bruderhaus "zu St. Michael" befindet sich noch heute in der Rostocker Altbettelmönchstraße und beherbergt Teile der Universitätsbibliothek, u. a. deren Sondersammlungen mit einigen Drucken der Brüder.
Der Brief enthält die Warnung Luthers, der Satan würde Herzog Heinrichs "Gewissen rühren und beschweren", wenn dieser den Druck nicht verhindere, da es sonst so aussehen könne, als habe der Herzog den daraus entstehenden "großen Schaden der Seelen" selbst bewilligt. Davon ließ Herzog Heinrich sich anscheinend beeindrucken: Vom selben Tag, an dem er Luthers Brief erhielt, ist ein Schreiben Herzog Heinrichs überliefert, in dem er den Rat der Stadt Rostock auffordert, den Brüdern ernstlich zu befehlen, mit dem Druck aufzuhören. Daraufhin wandte sich der Rektor der Rostocker Brüder vom Gemeinsamen Leben an den anderen, in Mecklenburg regierenden und der Reformation eher feindlich gesinnten Herzog Albrecht VII., um eine Aufhebung des Druckverbots zu erwirken. Obwohl dies nicht gelang, fuhren die Brüder – jetzt heimlich – mit dem Druck fort, was jedoch bald ans Licht kam und dazu führte, dass der Drucker ins Gefängnis gesperrt und der Rektor unter Hausarrest gestellt wurde. Schließlich mussten die Brüder schwören, den Druck nicht fortzusetzen.
1878 – fast 400 Jahre später – wurden in der Rostocker Universitätsbibliothek Fragmente dieses Druckes in den Deckeln des Einbandes eines anderen Buches gefunden und bald darauf auch ein fast vollständig erhaltenes Exemplar in Stuttgart entdeckt. Die Brüder hatten wohl nur einige wenige Exemplare des fast fertigen Druckes für ihren eigenen Gebrauch gebunden, wovon eines auf unbekannten Wegen nach Stuttgart gelangte. Die restlichen bedruckten Bögen wurden an Buchbinder verkauft und bei der Herstellung von festen Einbanddeckeln für andere Bücher verwendet.
Vorschläge zur Verwendung im Unterricht
- Präsentation eines eigenhändigen Luther-Briefes
- Lesen der Unterschrift im Original
- Lesen und Verstehen eines frühneuhochdeutschen Textes
- Luther und seine Gegner
- Luther und seine Kontakte mit Landesfürsten
- Buchdruck, Druckerei in Mecklenburg
- Exkursion zum ehemaligen Bruderhaus/Besuch der Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Rostock
Literaturhinweise
- Der Brief ist abgedruckt in: Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Abteilung 4: Briefwechsel, Bd. 5: Briefe 1529-1530. Weimar 1934, S. 187f.
- Zu den Brüdern vom Gemeinsamen Leben siehe: Georg Christian Friedrich Lisch: Buchdruckerei der Brüder vom gemeinsamen Leben zu St. Michael in Rostock. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 4 (1839), S. 1-62. http://lhwis.gbv.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=129544515
Brief von Martin Luther an Herzog Heinrich V. von Mecklenburg
Brief Martin Luthers an Herzog Heinrich V. von Mecklenburg, erste Briefseite
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