Welterbe

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Wismar St. Georgen

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Schon von Ferne fallen die monumentalen Backsteinkirchen ins Auge, die die Silhouetten der Hansestädte Wismar und Stralsund seit dem Mittelalter prägen. Bis heute vermitteln sie einen Eindruck von der Bedeutung beider Städte für Handel und Kultur im Ostseeraum. Zusammen mit dem umgebenden baulichen Ensemble sind sie aber nicht mehr als die "Spitzen des Eisbergs". Denn vieles andere, was das Erscheinungsbild der Städte einstmals geprägt hat, was einmal bedeutend war, ist heute nicht mehr sichtbar – abgerissen, bei Bränden zerstört, zerfallen – und Bestandteil des über Jahrhunderte gewachsenen archäologischen Erbes geworden.

Damit ist das umfangreiche archäologische "Archiv" im Boden der beiden Städte gemeint, in dem sich, bedingt durch die jahrhundertelange Nutzung desselben Areals, schichtweise eine Fülle von Informationen angesammelt hat – Botschaften, die die gesamte Existenzdauer der Stadt abdecken und sogar bis in die Zeit vor der Stadtgründung zurückreichen.

Mit der Einstufung als Welterbe wird der außergewöhnliche, universelle Wert der Altstädte von Wismar und Stralsund gewürdigt. Nicht einzelne Objekte oder Bauwerke machen diese Bedeutung aus, sondern die Gesamtheit des Ensembles, in dem sich die jahrhundertelange Entwicklung des Gemeinwesens Stadt widerspiegelt, einschließlich seiner Kontakte (zum Beispiel auf den Gebieten Handel, Architektur, Technologie, Kunst und Städtebau) und der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Das archäologische Erbe ist wesentlicher Bestandteil des Welterbes. Für viele Zeitabschnitte und Themengebiete ist es sogar die einzige noch verfügbare Informationsquelle.

Das Archiv im Boden

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Stralsund Rathausvorplatz

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Das Archiv im Boden ist so vielfältig wie die Geschichte der Stadt. In ihm stecken die Reste verschwundener Bauten, Graben- und Wallanlagen, Wasserleitungen und Abwasserkanäle, Straßen und Wege bis hin zu den sterblichen Überresten der Stadtbewohner. Es bewahrt Informationen über einzelne Objekte, über zusammenhängende Strukturen, über konkrete Ereignisse und über allmähliche Veränderungen.

So bedeutend einzelne archäologische Fundstücke auch sein mögen – ihre Botschaft können wir nur verstehen, wenn wir wissen, aus welcher Schicht und aus welchem Zusammenhang ein Fund stammt. Nur daran lässt sich ablesen, ob ein Gegenstand verloren ging oder ob er bewusst vergraben wurde, ob er kurze Zeit nach seiner Herstellung in den Boden gelangte oder erst Jahrhunderte später, in wessen Haushalt und zu welchem Zweck er zuletzt verwendet wurde. Manchmal steckt die Information auch nur in bestimmten Veränderungen des Bodens, wenn etwa die Hitze einer Herdstelle den Boden rötlich verfärbt hat oder wenn an der humushaltigen Verfüllung ein ehemals vorhandener Graben erkennbar ist.

Entscheidend ist also der Zusammenhang zwischen den Veränderungen des Bodens, den Resten von Bauwerken und den einzelnen Fundstücken. Solange dieser Zusammenhang besteht, lässt sich aus ihm eine Fülle von Informationen herauslesen. Das Archiv im Boden ist also nichts anderes als ein großer umfassender Informationsspeicher.

Während die historische Überlieferung oft nur eine bestimmte Sicht der Dinge widerspiegelt oder manchmal – wie es bei mittelalterlichen Urkunden gar nicht so selten vorkam – sogar bewusst verfälscht wurde, ist das Archiv im Boden über diesen Verdacht erhaben. Die Zusammenhänge im Boden lassen sich schlicht nicht fälschen, sie sind authentisch und bieten damit sogar die Möglichkeit, historische Überlieferungen zu überprüfen.

Archäologische Denkmalpflege im Welterbe

Anders als man annehmen könnte, sieht das Denkmalschutzgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern keine besonderen Regelungen für den Umgang mit dem Welterbe vor. Es gelten genau dieselben gesetzlichen Bestimmungen wie für den Schutz anderer archäologischer Denkmale.

Das ist auch richtig, denn das Ziel von Denkmalschutz und Denkmalpflege besteht immer darin, Denkmale zu erhalten, unabhängig davon, ob sie sich über der Erde oder in der Erde befinden oder – beispielsweise bei Wall- oder Grabenanlagen, Hügeln und Dämmen – auch die charakteristische Form der Erdoberfläche den Denkmalwert ausmacht. Bei der Entscheidungsfindung, ob und welche Veränderungen an Denkmalen im Welterbe vorgenommen werden dürfen, kann allerdings der außergewöhnliche, universelle Wert für das kulturelle Erbe der Welt nicht außer Acht gelassen werden.

Auch ohne diese Überlegungen ist klar, dass das Archiv im Boden eine endliche Ressource darstellt, mit der entsprechend sorgfältig umgegangen werden muss: Es ist nur einmal vorhanden, und die darin gespeicherten Informationen sind das umfassendste und vollständigste Gedächtnis der Stadt.

Besser erhalten als ausgraben

Mit einer Ausgrabung können zwar Teile des im Boden befindlichen Archivs erschlossen werden, aber bis heute gibt es keine Möglichkeit, eine wirkliche Kopie der darin enthaltenen Informationen anzufertigen. Auch bei Anwendung aller heute verfügbaren Analyse- und Dokumentationstechniken gelingt es nicht, den Informationsspeicher vollständig auszulesen. Die Erhaltung an Ort und Stelle ist im Zweifel immer noch die bessere Alternative.

Kommende Generationen werden vermutlich weit umfassendere Möglichkeiten haben, den Informationsspeicher Boden auszulesen, genauso, wie wir heute über weit bessere Methoden verfügen als noch vor zehn Jahren. Wenn bestimmte Teile des Archivs im Boden nur zehn Jahre später ausgegraben werden, bedeutet das für die betreffende Stadt also mit Sicherheit einen erheblichen Gewinn an Information.

Lässt sich ein Eingriff auch nach sorgfältiger Abwägung nicht vermeiden, müssen die vom Eingriff betroffenen Teile des Archivs im Boden fachgerecht geborgen und dokumentiert werden, damit die darin enthaltenen Informationen wenigstens nach heutigen Möglichkeiten ausgelesen werden und in anderer Form – als archäologische Dokumentation – erhalten bleiben.

Dabei kommt es sehr auf die Qualität der Dokumentation an, denn nur die Informationen, die bei der archäologischen "Spurensicherung" erkannt und festgehalten werden, stehen auch später noch zur Verfügung. So spannend eine Ausgrabung auch ist, sie endet immer mit der Zerstörung des Originals. Von der Originalsubstanz können allenfalls die geborgenen Funde, Proben und manchmal auch einzelne Bauteile als aus dem Zusammenhang gelöste Überreste erhalten werden.

Seit 1993 haben in Wismar und Stralsund über 300 Ausgrabungen stattgefunden, in allen mittelalterlichen Altstädten Mecklenburg-Vorpommerns mehr als 1000. Die Durchführung beziehungsweise die fachliche Überwachung dieser Ausgrabungen gehört zu den Kernaufgaben der Landesarchäologie, die damit dazu beiträgt, das kulturelle Gedächtnis der Städte zu erhalten, für die weitere Erforschung und für Ausstellungen zugänglich zu machen.

Ergebnisse dieser Arbeit sind beispielsweise in Stralsund im Rathaus und im Welterbezentrum zu sehen, in Wismar wurde 2005 die Landesausstellung "Archäologie unter dem Straßenpflaster" gezeigt. Darüber hinaus fanden zahlreiche kleinere Ausstellungen, Vorträge und Führungen statt. Auch in den Medien wurde und wird über die Ausgrabungen berichtet. Nicht zuletzt die Ausgrabungen selbst erfreuen sich großen Interesses – bieten sie doch regelmäßig Gelegenheit, den archäologischen Teil des Welterbes unmittelbar in Augenschein zu nehmen.

Archäologisches Kulturerbe - Welterbe