Fund des Monats April 2024

Über einen Kamm… Ein Miniaturkamm als Anhänger aus Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen

Abb. 1. Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Fragment eines bronzenen Anhängers in Form eines Miniaturkamms (max. Breite 4,8 cm, max. Höhe 3,4 cm). Die zoomorphe Griffplatte ist im skandinavischen Ringerike-Stil ausgeführt.Details anzeigen
Abb. 1. Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Fragment eines bronzenen Anhängers in Form eines Miniaturkamms (max. Breite 4,8 cm, max. Höhe 3,4 cm). Die zoomorphe Griffplatte ist im skandinavischen Ringerike-Stil ausgeführt.

Abb. 1. Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Fragment eines bronzenen Anhängers in Form eines Miniaturkamms (max. Breite 4,8 cm, max. Höhe 3,4 cm). Die zoomorphe Griffplatte ist im skandinavischen Ringerike-Stil ausgeführt.

Abb. 1. Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Fragment eines bronzenen Anhängers in Form eines Miniaturkamms (max. Breite 4,8 cm, max. Höhe 3,4 cm). Die zoomorphe Griffplatte ist im skandinavischen Ringerike-Stil ausgeführt.

Am 20. Juli 2023 fand Wolfram Pitzke, ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger aus Leidenschaft und Überzeugung, nördlich von zwei seit längerer Zeit bekannten slawischen Siedlungsstellen in der Gemarkung Garftitz auf der Insel Rügen ein ungewöhnliches bronzenes Objekt. Die Zinken weisen es ganz offensichtlich als Kamm aus, der sich zum Griff schwach konisch verjüngt (Abb. 1). Die Griffplatte besteht aus zwei sich anschauenden Tierköpfen, deren Mäuler sich in der Mitte berühren. Die Konturen der Köpfe und Hälse sind in die Metalloberfläche mittels eines Stichels – allerdings wenig sorgfältig – graviert worden. Unter den Köpfen ist die Platte jeweils herzförmig durchlocht. Die Tierdarstellungen gleichen sich auf der Vorder- und Rückseite des Objektes, das in der Mitte zwischen den Köpfen eine stielartig ausgestellte Verlängerung mit quergestellter Öse hat, an der man das Objekt aufhängen konnte. Diese Öse ist durchgescheuert, so dass das Fundstück vermutlich irgendwann aus der Aufhängung fiel und verloren ging. Oberfläche und Kanten des Kammanhängers lassen deutliche Verrundungen (durch Nutzung bzw. Tragen) erkennen.

Abb. 2: Stargard, Woiwodschaft Westpommern. Fragment eines bronzenen Miniaturkamms.Details anzeigen
Abb. 2: Stargard, Woiwodschaft Westpommern. Fragment eines bronzenen Miniaturkamms.

Abb. 2: Stargard, Woiwodschaft Westpommern. Fragment eines bronzenen Miniaturkamms.

Abb. 2: Stargard, Woiwodschaft Westpommern. Fragment eines bronzenen Miniaturkamms.

Stilistisch kann man die Darstellungen der Tiere, trotz der sehr unsorgfältigen Ausführung, schon wegen der charakteristischen tropfenförmigen Augen, der kurzen aufgerissenen Mäuler bzw. eines herunterhängenden Nasententakels dem skandinavischen Ringerike-Stil zuordnen. Zeitlich wird dieser in das späte 10. und bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts eingeordnet. Das Motiv der einander zugewandten Tiere ist gerade im Ringerike-Stil und auch noch im etwas jüngeren Urnes-Stil sehr beliebt gewesen und findet sich auf vielen Objekten, wie z. B. Trensenknebeln. Einen formal sehr guten Vergleich zu dem Fund von Rügen stellt ein erst 2016 durch Andrzej Janowski publizierter Kamm aus Stargard, Woiwodschaft Westpommern, dar, so dass mit dem Garftitzer Fund nun zwei gleichartige Objekte aus dem westslawischen Kulturraum bekannt sind (Abb. 2). Grundsätzlich umfasst das Verbreitungsgebiet miniaturisierter Kammanhänger mit zugewandten Tier(köpf)en das gesamte Ostseegebiet, wie die zusammengestellten Beispiele zeigen. Nach dem von Andrzej Janowski erarbeiteten Katalog der fast exakt gleich ausgeführten und deshalb unmittelbar vergleichbaren Funde im Ringerike-Stil offenbart sich deren Hauptverbreitungsgebiet mit sieben Funden in Südskandinavien (zweimal nördliches Dänemark, viermal südliches Schonen) und zeigt mit Sicherheit auch zugleich das eigentliche Herstellungs- und Nutzungsgebiet dieser speziellen Form an. Besonders auffällig ist aber auch das konzentrierte Vorkommen in Südostengland (fünfmal), was aber nachvollziehbar wird ob der engen historischen Verbindungen dieses Raumes zu Dänemark in der Zeit um und nach 1000 (Abb. 3). Dort lagen wichtige skandinavisch kontrollierte Siedlungen und Städte, und vor allem wurde dort das Danegeld als jährliche Tributzahlung der insularen Einwohner für die dänischen Besatzer und Landesherren eingetrieben.

Abb. 3: Verbreitungskarte der Miniaturkämme (rotes Kreuz: Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen) mit zoomorpher Griffplatte im Ringerike-Stil (nach Katalog Andrzej Janowski 2016 mit Ergänzung).Details anzeigen
Abb. 3: Verbreitungskarte der Miniaturkämme (rotes Kreuz: Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen) mit zoomorpher Griffplatte im Ringerike-Stil (nach Katalog Andrzej Janowski 2016 mit Ergänzung).

Abb. 3: Verbreitungskarte der Miniaturkämme (rotes Kreuz: Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen) mit zoomorpher Griffplatte im Ringerike-Stil (nach Katalog Andrzej Janowski 2016 mit Ergänzung).

Abb. 3: Verbreitungskarte der Miniaturkämme (rotes Kreuz: Garftitz, Lkr. Vorpommern-Rügen) mit zoomorpher Griffplatte im Ringerike-Stil (nach Katalog Andrzej Janowski 2016 mit Ergänzung).

Auch wenn die meisten der bisher bekannten Kammanhänger regelrechte Zähne oder Zinken aufweisen und somit zumindest gebrauchsfähigen Kämmen ähneln, so deuten doch vereinzelte Anhänger, die nur stilisierte oder kurze, angedeutete Zähne haben, auf eine eher symbolische Bedeutung hin. Ohnehin scheint auch das kleine, unhandliche Format der Kämme mit regulären Zinken zur Haar- oder Bartpflege eher ungeeignet. Die an vielen dieser Kleinkämme erhaltenen Ösen machen sogar eine symbolische Nutzung, z. B. als am Körper getragenes Amulett, sehr wahrscheinlich. Die Darstellung der sich gegenüberstehenden Tierfiguren (ob es immer Drachen sind, sei dahingestellt) auf den Griffplatten ist insofern auffällig, als die gebrauchsfähigen, kunstvoll aus Geweih- und Knochenplatten zusammengefügten Kämme eine derartige Verzierung nicht aufweisen. Miniaturisierung und figurale Gestaltung führen quasi zusammen zum Eindruckes eines besonderen Gegenstandes. Ähnliche Kammformen finden sich als Teile von Kettengehängen mit Zierrat verschiedenster Symbolik nicht nur im spätwikingischen Kulturraum, sondern vor allem auch bei den Balten und Finno-Ugriern (Abb. 4). Ob sie überall und über gewisse Zeiträume und Sprachgrenzen hinweg auch eine identische Bedeutung hatten, muss offen bleiben. Miniaturisierte Gebrauchsgeräte (Scheren, Messer, Feuerschläger), Kultobjekte (Thorshämmer) und Waffen (Schilde, Schwerter, Lanzenspitzen) sind im skandinavischen Frühmittelalter und darüber hinaus sehr beliebte Amulette, die nicht selten miteinander kombiniert als Konvolute getragen wurden (Anne Pedersen 2009).

Abb. 4: Beispiele für kammförmige Anhänger aus England, Finnland und dem Baltikum (aus Andrzej Janowski 2016).Details anzeigen
Abb. 4: Beispiele für kammförmige Anhänger aus England, Finnland und dem Baltikum (aus Andrzej Janowski 2016).

Abb. 4: Beispiele für kammförmige Anhänger aus England, Finnland und dem Baltikum (aus Andrzej Janowski 2016).

Abb. 4: Beispiele für kammförmige Anhänger aus England, Finnland und dem Baltikum (aus Andrzej Janowski 2016).

Der Kamm hatte in der Wikingerzeit grundsätzlich eine besondere und vielfältige Bedeutung als handwerkliches Produkt, Handelsware und Prestigeobjekt. Er war zunächst vorrangig täglicher Gebrauchsgegenstand für die Pflege und Säuberung von Haupthaar und Bart. Er wurde am Körper als Teil der Tracht getragen und begleitete am Ende des Lebens als Beigabe verstorbene Männer und Frauen nicht selten auch ins Grab. Kammbeigaben in Bestattungen sprechen nach Dan Carlsson für eine religiöse Bedeutung als Symbol mit Bezug auf (eine) besondere Reinlichkeit. Dabei spielt die weit verbreitete Vorstellung wohl auch eine Rolle, dass Haar als mit dem Körper verbundener, nachwachsender Teil – auch zeichenhaft, weil meist sichtbarer Teil des Körpers – eine Verbindung mit der Seele hätte (Janne Harjula 2019). Auch der tägliche Akt des Kämmens von Haupthaar und Bart mag als Teil der kulturellen Identität von Bedeutung gewesen sein (ausführlich hierzu Steven Ashby 2014). Darüber hinaus ist sehr wahrscheinlich, dass Kämme auch in der mündlichen sagenhaften Überlieferung und in den Erzählungen (sog. „oral tradition“) des Frühmittelalters eine Rolle spielten, die wir aber in der Gegenwart natürlich nicht kennen können. In einigen schriftlich erfassten Mythen, oft erst Jahrhunderte nach der Wikingerzeit aufgeschrieben, kommen Kämme z. B. als Objekte mit besonderen magischen Eigenschaften vor, nicht selten verbunden mit besonderen Lebewesen, wie z. B. Nixen oder Wasserfrauen (Tatyana Mikhailova 2010). Das Wesen eines Amuletts umfasst nicht nur die eines Glücksbringers oder Glückbewahrers, sondern auch apotropäische – sprich Unheil abwehrende – Eigenschaften sind denkbar. Und Amulette können als sichtbare Zeichen auch für Identität auf verschiedenen Bedeutungsebenen stehen. Die Kämme der oben beschriebenen Form dürften also auf eine komplexe Imagination deuten und nicht nur darauf, dass jemand einfach „die Haare schön hatte“.

Dr. C. Michael Schirren

Literatur:

  • Steve Ashby, Technologies of appearance: Hair behavior in early medieval Europe. The Archaeological Journal (University of York) 2014, 151-184 https://eprints.whiterose.ac.uk/108924/1/Ashby_Hair_ARch_J_postreview_13_01_13.pdf (abgerufen 07.09.2023)
  • Dan Carlsson, Combs and comb making in Viking Age and Middle Ages. A short resumé. https://the-vikings.wdfiles.com/local--files/archeological-reports/Combs%20and%20comb%20making%20in%20Viking%20Age%20and%20Middle%20Ages%20.pdf (abgerufen am 07.09.2023)
  • Janne Harjula, For the sake of hair and soul – Medieval antler comb with runic inscription Ave from Turku. In: Cecilia Ljung u.a. (Red.), Tidens landskap. En vänbok till Anders Andrén. Lund 2019, 246-248.
  • Andrzej Janowski, Wczesnośredniowieczna zawieszka grzebieniowata ze Stargardu. Stargardia XI, 2016, 221-230.
  • Anne Pedersen, Amulette und Amulettsitte der jüngeren Eisen- und Wikingerzeit in Südskandinavien. In: Uta von Freeden, Herwig Friesinger und Egon Wamers (Hrsg.), Glaube, Kult und Herrschaft. Phänomene des Religiösen im 1. Jahrtausend n. Chr. in Mittel- und Nordeuropa. Akten des 59. Internationalen Sachsensymposions und der Grundprobleme der frühgeschichtlichen Entwicklung im Mitteldonauraum. Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 12. Bonn 2009, 287-302.
  • Tatyana Mikhailova, Irish Banshee and Russian Rusalka: the comb-motif – its meaning and genesis. Studia Celto-Slavica 3, 2010, 221–237.
  • Jörg Sonntag, Von langen Bärten und geschorenen Köpfen. Das kulturelle Potenzial des menschlichen Haares im Frühmittelalter. Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte 4, 2021, 77–102. https://mittelalter.hypotheses.org/26831 (abgerufen 20.8.2023)

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