Schwerin wird verkauft

Archivalie des Monats Januar 2009

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Foto der Verkaufsurkunde von 1358

Foto der Verkaufsurkunde von 1358

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Viele von uns haben erhebliche Probleme, wenn kommunale Wohnungen verkauft werden, die Wasserversorgung oder die Verkehrsbetriebe für den Nahverkehr. Im Mittelalter konnte die Stadtobrigkeit noch viel weiter gehen, und die Grafen von Schwerin haben das gemacht: Sie haben 1358 Stadt und Schloss und die Grafschaft dazu mit; allen ihren Herrschaftsrechten verkauft. Machtwechsel nicht durch Wahlen, wie wir es unlängst erlebt haben, sondern durch ein Geschäft. Was gibst Du mir, wenn ich Dir das Feld überlasse und aus der Gegend verschwinde?

Wir wissen natürlich nicht, ob diese Frage so oder ähnlich gestellt worden ist vor 650 Jahren, aber wir wissen: Schwerin wurde verkauft. Die Grafen von Schwerin, seit 200 Jahren Herren der Stadt, zogen sich ganz aus der Gegend zurück. Graf Gunzelin von der Wittenburger Linie hatte nach Tecklenburg im westlichen Münsterland eingeheiratet, die Erbtochter des dortigen Grafengeschlechts. Die in Schwerin und Boizenburg residierenden Zweige der Grafen von Schwerin starben in männlicher Linie aus. Nur die Söhne des Tecklenburgers blieben übrig, um das Erbe der Väter zu verteidigen.

Die Mecklenburger hingegen befanden sich im Aufwind. Heinrich II. (reg. 1287-1329), auch er wie der berühmte Sachsenherzog "der Löwe" genannt, hatte das Land Stargard für Mecklenburg gewonnen. Sein Sohn Albrecht erlangte 1348 die Erhebung Mecklenburgs zum Herzogtum und verfolgte ehrgeizige Pläne. Er war mit der Schwester des schwedischen Königs verheiratet und verhalf später seinem Sohn Albrecht zur Königswürde in Schweden. Wenn er die Machtprobe mit den Schweriner Grafen suchte, war ziemlich klar, wer als Sieger vom Feld gehen würde. Und er suchte sie.

1350 kaufte er der Witwe eines Schweriner Grafen das Land Crivitz ab, 1352 nahm er den Grafen Otto, der den Beinamen „die Rose“ trug, gefangen. Zur Aussöhnung wurde die Tochter des Grafen mit dem Sohn des Herzogs verheiratet und erhielt als Mitgift das Land Boizenburg. 1358 flackerten die Auseinandersetzungen erneut auf, Albrecht rückte mit einem Heerhaufen und einer Belagerungsmaschine gegen Schwerin vor, konnte die hartnäckig verteidigte Stadt aber nicht nehmen. Da beschloss er, mit Geld zu dem Ziel zu gelangen, das ihm die Waffen nicht gewährten, und bot Frieden und Verkaufsverhandlungen an.

Den Frieden gab es am 1. Dezember 1358 in Schwerin, die Urkunde über den Verkauf wurde am 7. Dezember in Plüschow ausgestellt. Sie war bis zum 2. Weltkrieg vorhanden, verwahrt in einem Berliner Archiv. Seitdem wird sie vermisst. Ihren Inhalt kennen wir aber aus dem Mecklenburgischen Urkundenbuch, und wie sie aussah, verrät uns ein Vorkriegsfoto (siehe Abb.).

Im Schweriner Archiv wird eine Abschrift von 1359 verwahrt, die drei verschiedene Dokumente des Verkaufs beglaubigt, besiegelt und für das herzogliche Archiv festhält: Die Verkaufsurkunde und zwei Urkunden betreffend Sicherheitsleistungen und Stellung von Bürgen. Drei mit einem Faden aneinander geheftete Papierblätter sind beschrieben, das Stück ist insgesamt 96 cm lang und ca. 30 cm breit. Papier wird erst seit dem 14. Jahrhundert bei uns für Urkunden verwendet – vorher gab es nur Pergament. Das aus Lumpen ("Hadern") hergestellte Papier war gut und haltbar, wie die Urkundenabschrift beweist. Vor dem Papierzerfall, der Bücher und Archivgut des 19. und 20. Jahrhunderts bedroht, brauchen wir uns hier nicht zu fürchten.

Die Mecklenburger haben die erste Rate der Kaufsumme von 20 000 Mark Silber bezahlt, die Quittung liegt vor. Viermal 5000 Mark waren ausgemacht. Die zweite Rate kam verspätet und nicht vollständig. Dann gab es Streit, der von Albrecht zum Anlass genommen wurde, die Zahlungen einzustellen. Die Fische im Wasser hätten die Mecklenburger nicht bezahlt, schrieb ein Lübecker Chronist. Gerichte und Schiedsrichter wurden erfolglos bemüht. Die Tecklenburger haben das Geld für den Verkauf Schwerins nie bekommen, obwohl sie noch im 16. Jahrhundert versucht haben, die alte Forderung wieder aufleben zu lassen. Schwerin, Stadt und Grafschaft gehörten nun zu Mecklenburg. Der Lübecker Chronist Korner sah es so: Die Mecklenburger hätten sich das Erbe Pribislaws zurückgeholt, das ihnen Heinrich der Löwe (vor 200 Jahren!) weggenommen hatte.

Was bedeutete der Rückzug der Grafen, der Verkauf von Schwerin letztlich für die Stadt? Der Verkauf an die Mecklenburger vor 650 Jahren machte in der Folge Schwerin zum Regierungssitz, zur Hauptstadt Mecklenburgs, und das ist die Stadt in einem erweiterten Sinne noch heute.

Dr. Andreas Röpcke, Landeshauptarchiv Schwerin

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