Über Stock und über Stein … Guthendorfer Vieh im Brünkendorfer Roggen

Archivalie des Monats Dezember 2010

Wer sich Gerichtsakten der Frühen Neuzeit daraufhin anschaut, um welche Dinge auf dem Lande häufig und ausgiebig gestritten wurde, dann fallen Grenzklagen besonders ins Auge. Darunter sind Verfahren nicht selten, mit denen Eigentümer gegen die Beschädigung ihrer Felder durch fremdes Vieh vorgingen. Für die Großfelderwirtschaft der industriellen Landwirtschaft sind Flurschäden heute nur noch ein jagdwirtschaftliches Problem. Hier grenzen Feldschläge und Koppeln meist an Wälder, Straßen oder Wege und nur noch selten an des Nachbarn Grundstück.

Das war im 18. Jahrhundert anders. Die Bauern betrieben auf ihrer in ewiges Getreide- und ewiges Weideland geteilten Dorffeldmark die traditionelle Dreifelderwirtschaft in Gemengelage. Da eine längere Stallhaltung des Viehs wegen Futtermangels nicht möglich war, trieb ein Hirte das Vieh früh morgens auf die Gemeinweiden, die Brach- oder Stoppelfelder und abends wieder nach Hause.

Die anders als vormoderne Bauernwirtschaften mehr an Ertrags- und Einkommenssteigerungen denn am Auskommen interessierten Gutsbetriebe begannen dagegen schon im 18. Jahrhundert, ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen abzugrenzen und zu verkoppeln. Das bedeutete für Mecklenburg die Einführung einer modernen Schlagwirtschaft mit Fruchtwechselfolge, um den Getreideertrag für den Export zu steigern. Diese Flächen-Verkoppelung machte einen Hirten eigentlich überflüssig.

Ob dem tatsächlich so war, hing allerdings sehr von der Beschaffenheit der Zäune ab. Der Landwirt des 18. Jahrhunderts kannte keine Zäune aus Metall oder gar Kunststoffen. Er musste sich mit nachwachsenden Rohstoffen behelfen und errichtete – wenn nicht nur Gräben ausgehoben oder Scheiden aufgeworfen wurden – "tote" und "lebende" Begrenzungen. Erstere waren oft nur provisorischer Natur und bestanden aus Stangen und Astwerk. Auf den Feldern wurden sie nach der Herbstweide verbrannt, als Flechtzaun und Dorfumzäunung hielten sie etwas länger. Lebende Hecken setzte man dagegen aus Weiden und Büschen.

Wo sich langfristig Grenzen herausgebildet hatten – zwischen Dorfgemarkungen etwa – lohnte sich dieser größere Aufwand.

Weiden hatten auch die Guthendorfer auf ihre Grenze nach Brünkendorf hin gepflanzt. Sie gaben nicht nur dem Zaune Halt, sondern lieferten, wenn sie gekröpft wurden, auch Flechtmaterial. Der Herr auf Guthendorf, damals ein Major von Kahlden, hatte an die auf der Scheide stehenden Weiden allerdings nur geteilte Äste nageln lassen. Jedoch; diese sogenannten "Schleete" übersprangen die Fohlen und Kälber des Gutes oder krochen unter ihnen hindurch, wenn der frisch aufgelaufene Roggen saftig vor ihren Augen stand. Dass die fünf Brünkendorfer Bauern angesichts dieses Zauns ihre Roggensaat nicht besser geschützt hatten, rächte sich im Frühjahr 1781, als das Guthendorfer Gutsvieh mehrmals den Brünkendorfer Roggen verwüstete. Der von den Bauern beschäftigte Kornwärter konnte das nicht verhindern, sondern nur das eingebrochene Vieh pfänden und dessen geldwerte Auslösung betreiben.

Wir wissen davon, weil die unmittelbare Obrigkeit der Geschädigten, die Beamten aus Ribnitz, bei der Rostocker Justizkanzlei eine Schadenersatzklage anhängig machten, die sie mit der Einsendung der abgefressenen, inzwischen längst zu Stroh gewordenen Roggenhalme unterstützten. Die Brünkendorfer Bauern durften ihr Recht als Domanialuntertanen nicht ohne Wissen ihrer Obrigkeit suchen. Sie riskierten als Bevormundete sonst einen "Puckel voll Prügel". Da die Bauernhufen Eigentum des Landesherrn waren, hatte dieser neben ausgedehnten Rechten auch die Pflicht, in Schadensfällen mit Brot und Saatkorn aushelfen.

Aus der Akte ergibt sich der Eindruck, dass es die Ribnitzer Beamten bewusst auf einen Prozess ankommen ließen, weil es gegen einen Gutsherrn ging. Mit breiter Brust sagten sie von Kahlden einen Termin zur in Augenscheinahme des Schadens an. Der Major dagegen sah sich vom Ribnitzer Oberamtmann geradezu mit Prozessen verfolgt und dachte gar nicht daran, sich irgendwelche Vorschriften machen zu lassen. Sein Jäger richtete den wartenden Beamten aus, von Kahlden wäre es nicht gewohnt, sich von anderen die Zeit bestimmen zu lassen.

Auch die Begutachtung des Fraßschadens gab Anlass für Zwistigkeiten. Beide Seiten favorisierten andere Gutachter; die eine den Klosterpächter Brasch die andere den Pächter von Mandelshagen. Bei der Besichtigung des Getreideschlags kam allerdings heraus, dass die Leute aus den Ribnitzer Domanialdörfern einen unbefugten Durchgang durch die Guthendorfer Koppel angelegt hatten; ein Heck nämlich, das manchmal gar nicht und meistens nur schlecht geschlossen wurde.

Wie auch immer das Vieh auf die Saat gelangte; der abgefressene Roggen war nur im Stroh aufgeschossen, und der auf dem Halm stehenden Ähre fehlten die Körner. So lag der Schaden bei etwa 3 bis 4 Drömt (36 bzw. 48 Scheffel) Roggenaussaat und – legt man das 3. bis 4. Korn als Ertrag zu Grunde – bei etwa 15 Drömt ausgedroschenem Getreide. Das war ein fühlbarer Verlust. Nachdem die Parteien in der arbeitsreichen Erntezeit nicht zueinander fanden, verglichen sie sich erst im Januar 1782: von Kahlden zahlte 20 Taler Entschädigung an die Brünkendorfer Bauern. Wie viel davon tatsächlich in ihren Taschen und wie viel in der Amtskasse landete, sagt die Akte allerdings nicht.

Dr. René Wiese, Landeshauptarchiv Schwerin


Quelle

2.23-3 Justizkanzleien Nr. 3617

Archivalie des Monats Dezember 2010

Über Stock und über Stein … Guthendorfer Vieh im Brünkendorfer Roggen