Spionageabwehr in der mecklenburgischen Provinz

Archivalie des Monats Januar 2012

LHA SN 9.2-17 Reichsbahndirektion Schwerin, Nr. 6055Details anzeigen
LHA SN 9.2-17 Reichsbahndirektion Schwerin, Nr. 6055

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Am 31. Juli 1941 erreichte das Reichsbahn-Betriebsamt im beschaulichen Neustrelitz ein freundliches Schreiben des – so steht es auf dem Ausgangsstempel – Bahnhofs Ellernholz. Von der Abwehrstelle der Luftwaffen-Erprobungsstelle Rechlin sei gebeten worden, in den Personenzügen nach Rechlin "Abwehrplakate" auszuhängen. Und "falls die Abwehrplakate angebracht werden dürfen, bitten wir Bf. Neustrelitz Süd hiermit zu beauftragen."

Die in Rede gestellten und im Postkartenformat übermittelten drei Plakate sind als Teil einer der vielen Propaganda-Kampagnen zu betrachten, mit denen sowohl die Nationalsozialisten als auch ihre Kriegsgegner vor unbeabsichtigtem Verrat an den jeweiligen Feind warnten. Derartige Kampagnen dienten in erster Linie dem Selbsterhalt des jeweiligen Systems. Sie waren keine Erfindung der Kriegsparteien des zweiten Weltkriegs, vielmehr sind Spionage und Sabotage ebenso wie die ihnen entgegen gesetzte Spionageabwehr ältere Phänomene: "Die Wand hat Ohren, Mauern sind Verräter", lässt Friedrich Schiller schon den ehemaligen Prinzenerzieher Barach in "Turandot" (1801) sagen.

Die hier vorgestellten Archivalien gehören zur Kategorie der aufklärenden bzw. warnenden Plakate, wie "unbedachtes Wort" und "So arbeitet die Feind-Spionage" verdeutlichen. Dergleichen stellten lediglich eines von vielen Abwehrmedien dar, konnten jedoch mit vergleichsweise geringem Aufwand viel Suggestivkraft entfalten und einen hohen Verbreitungsgrad erreichen. Die Plakate der Erprobungsstelle warnten vor einer permanenten Bedrohung, ohne – vielleicht mit Ausnahme von "Achtet auf Saboteure!" – selbst bedrohlich zu wirken. Parallel zur Warnung weisen zwei der drei Plakate eine Appellfunktion auf, den Appell an eine tatsächliche oder zumindest vermeintliche Tugend: "Darum Deutscher, denk’ daran: schweige!" bzw. "Deutscher sei stolz und schweige!"

Der "Feind" bleibt in allen drei Fällen unsichtbar bzw. nicht identifizierbar, indem er als "Saboteur" offenbar das Dunkel der Nacht ausnutzt oder als "Strippenzieher" im Hintergrund agiert. Hingegen stellen sie alle einen recht direkten Bezug zum Adressaten, d.h. zu den vielen Bahnpendlern unter den zeitweise mehr als 4.000 militärischen und zivilen Mitarbeitern der Erprobungsstelle, her: Zwei stellen betriebliche bzw. Arbeitssituationen dar, eines bezieht sich direkt auf eine Bahnfahrt. Letzteres zeigt mit dem geschäftlichen Kontakt, dem Gespräch in einer öffentlichen Telefonzelle und dem Kneipen- bzw. Cafébesuch weitere Szenarien, in denen Unbedarftheit oder Unachtsamkeit zu unfreiwilligem Verrat führen können. "Sorgfältig gesammelt" und wie ein Mosaik zusammengefügt ergibt sich aus einzelnen Unachtsamkeiten "das lückenlose Bild eines Staatsgeheimnisses!"

Derlei Motive waren im Übrigen sowohl in anderen deutschen als auch in alliierten Abwehrplakat-Kampagnen sehr beliebt. Die Rechliner Stücke aus dem Jahr 1941 unterschieden sich mit ihrer relativ ansprechenden Gestaltung jedoch deutlich von späteren deutschen Kampagnen wie etwa "Feind hört mit" oder "Schattenmann". Deren wesentlich schematischere Darstellung wies ein wesentlich höheres Abstraktionsniveau auf. Möglicherweise bestand diesbezüglich ein Zusammenhang zum Kriegsverlauf, der Mitte 1941 – das Deutsche Reich hatte gerade die sogenannte Ostfront eröffnet – aus deutscher Sicht noch als relativ erfolgreich empfunden werden konnte.

Nach Lage der Dinge ist davon auszugehen, dass die Plakate in den zwischen Neustrelitz-Süd und Rechlin verkehrenden Zügen bzw. Streckenbahnhöfen ausgehängt wurden. Allerdings führte der Weg dahin durch die Mühlen der Bürokratie: Das Bahnbetriebsamt Neustrelitz leitete das Ansinnen des – wie es richtig heißt – Bahnhofs Ellerholz der vorgesetzten Reichsbahndirektion Schwerin zur Entscheidung zu und daselbst hatte das um die interne Stellungnahme gebetene Dezernat "keine Bedenken".

Dr. Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin


Quelle

LHAS, 9.2-17 Reichsbahndirektion Schwerin / Altaktenbestand, Nr. 6055

Archivalie des Monats Januar 2012

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