Archivalie des Monats Mai 2024

Als der 1. Mai in Mecklenburg-Strelitz Feiertag werden sollte

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Abb.: Leitartikel der Neubrandenburger Zeitung vom 30. April 1919

Abb.: Leitartikel der Neubrandenburger Zeitung vom 30. April 1919

Abb.: Leitartikel der Neubrandenburger Zeitung vom 30. April 1919

In ihrer Ausgabe vom 30. April 1919 widmete die „Neubrandenburger Zeitung“ dem unmittelbar bevorstehenden 1. Mai (Abb.), erstmals in der deutschen Geschichte ein offizieller Feiertag, den Leitartikel. Knapp 14 Tage zuvor hatte die Weimarer Nationalversammlung mit den Stimmen von SPD, DDP und Teilen des Zentrums das Gesetz über einen allgemeinen Feiertag, „dem Gedanken des Weltfriedens, des Völkerbundes und des internationalen Arbeiterschutzes geweiht“, verabschiedet. Die genannte Zeitung begrüßte, „daß die Bezeichnung eines Feiertages des internationalen Proletariates vermieden ist“, und raisonierte ansonsten ein wenig über Gegenwart und Zukunft sowohl des Vaterlandes als auch der europäischen Staatengemeinschaft.

Die nationale Feiertagsregelung war unikal, eine endgültige Festlegung wurde auf die Zeit nach Friedensschluss und Verabschiedung der Verfassung verschoben. Daraus wurde jedoch erstmal nichts, und damit gedachte sich die SPD-Landtagsfraktion im SPD-regierten Freistaat Mecklenburg-Strelitz nicht abzufinden. Daher legte sie dem in Neustrelitz tagenden und kurz vor dem Ende der Legislaturperiode stehenden ersten ordentlichen Landtag einen Antrag auf Erklärung des 1. Mai zum allgemeinen Feiertag vor. Allerdings erwies es sich als unmittelbar problematisch, dass der Antrag der Genossen erst am 30. April 1920 datierte, also gleichsam am Vorabend des intendierten Feiertages. Doch damit der Kuriositäten noch nicht genug.

In der Diskussion des Antrages monierte bereits der erste Redner, Max Frick von der Wirtschaftlichen Vereinigung (WV), Gesetze müssten vier Tage vor ihrer Lesung eingereicht werden. SPD-Redner Hans Leuß entgegnete, es gehe gar nicht um ein Gesetz, sondern um eine Willenserklärung des Landtages. Der Landtagspräsident bat daraufhin die Regierung um eine Äußerung zu dieser Frage, Kurt von Reibnitz als Vorsitzender des Staatsministeriums entgegnete: „Die Regierung bittet, sich zurückziehen zu dürfen.“ Im Plenarsaal folgte: „Heiterkeit“. Nach kurzer Beratung informierte der Staatsminister das Plenum, ein Gesetz stehe nicht zur Debatte, da ein Maifeiertag nur für das laufende Jahr bzw. nicht als dauernde Einrichtung vorgesehen sei. Letzteres bleibe selbstredend einem eventuell später einzubringenden Gesetz vorbehalten.

In der Folge entglitt die Diskussion dann etwas. Die eine Seite erklärte eine bloße Willenserklärung für nicht bindend und damit für sinnlos. Die andere Seite empfahl darauf dem Redner, er könne ja gern arbeiten gehen. Der wiederum entgegnete seinem Vorredner: „Sie sind ja dafür bekannt, daß Sie nie etwas tun.“ Außerdem warnte er vor „schwerwiegenden Mißständen“, wenn etwa lange anberaumte Gerichtstermine wegen eines kurzfristig angesetzten Feiertages abgesagt werden müssten und der Staat daraufhin verklagt würde. So ging es bis zur Verständigung auf eine kurze Pause noch ein wenig hin und her. Aus selbiger kam die SPD mit einem Änderungsantrag: Sollte ursprünglich der 1. Mai zum allgemeinen Feiertag „erklärt“ werden, so stand nunmehr nur noch die Empfehlung einer allgemeinen Arbeitsruhe in Rede. Allerdings hatten auch WV und DDP einen Antrag vorgelegt, demnach am 1. Mai „ruhig wie an allen sonstigen Werktagen an die Arbeit zu gehen“ empfohlen werden sollte.

Ungeachtet dessen versachlichte sich die Debatte, in deren Ergebnis der SPD-Änderungsantrag angenommen wurde und sich zugleich der Gegenantrag erledigte. Zwischenzeitliche Einwendungen des WV-Abgeordneten Karl Schwabe, eine kurzfristige Feiertagsempfehlung könne gar nicht mehr bis in den letzten Winkel des Landes verfügt werden und führe daher zu einer „kolossale[n] Belastung des Telegraphen und des Telephons“, konterte Staatsminister von Reibnitz mit: „Das ist schon veranlaßt.“ Die nachgeschobene Befürchtung des Abgeordneten, Zeugen für am Folgetag geplante Gerichtsverhandlungen seien bereits mit der Bahn unterwegs und hätten Kosten, kanzelte SPD-Mann Karl Bartosch ab: „Alles schon erledigt! Es kommt kein Mensch!“ Von vornherein konnte sich die SPD in Mecklenburg-Strelitz ihrer Landtagsmehrheit sicher sein und bereits im Vorfeld entsprechende Veranlassungen treffen.

Zwei Jahre später hatte sich der Wind gedreht, die SPD hatte im zweiten ordentlichen Landtag keine eigene Mehrheit mehr. Der von ihrer Fraktion am 5. April 1922 erneut eingebrachte Antrag, den 1. Mai zum allgemeinen Feiertag zu erklären, scheiterte nach kurzem Disput. Wilhelm von Waldow (DNVP) plädierte rücksichtlich der Lage der Volkswirtschaft für „pflichttreue Arbeit“ statt für einen Feiertag, Franz Gundlach (DDP) schloss sich im Grunde an. Paul Reinke (Handwerkerverband) sah in dem SPD-Antrag den Beweis, dass die Arbeiterschaft „mit einem solchen Feiertage doch nicht recht etwas anzustellen“ wisse und nun auf dem Verordnungswege gezwungen werden solle, „diesen Tag als gesetzlichen Feiertag für sich anzuerkennen.“ Sein Fraktionskollege Robert Tietböhl stand ihm mit seinem Vorschlag, den 1. Mai dadurch zu feiern, „daß an diesem Tag zwölf Stunden gearbeitet wird,“ an Arroganz und Überheblichkeit nicht nach. Er erntete dafür Heiterkeit und Bravo-Rufe, während der SPD-Antrag durchfiel. Zum gesetzlichen Feiertag erhoben den 1. Mai erst die Nationalsozialisten 1933.

Dr. Matthias Manke

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