Der Feldzug gegen Mirow - Was adliger Champagnerdurst im Jahre 1842 und ein patriotischer Aufruf aus dem Jahre 1849 gemeinsam haben

Archivalie des Monats Juni 2010

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Am 6. März 1849 veröffentlichte Gutsbesitzer Josua Magnus Klockmann auf Hoppenrade im Anzeigenteil der Mecklenburgischen Zeitung einen flammenden, durchaus patriotisch motivierten Aufruf. Es ging ihm damit um nicht weniger als um die Rettung des Vaterlandes und seines ersten Repräsentanten, also des Großherzogs. Was war passiert, welche Verheerungen, Fährnisse und Drangsale drohten mit dem meteorologischen Frühling über Mecklenburg hereinzubrechen? Wenige Tage vorher hatte die gemeinsame Abgeordnetenkammer beider Mecklenburg, also das gewählte Parlament, den ersten Teil eines Verfassungsentwurfs vorgelegt. Derselbe spiegelte überwiegend die Ziele der Kammerlinken, wie die liberalen Demokraten seinerzeit genannt wurden, wider. In der Interpretation des Rittergutsbesitzers dräute nunmehr, obwohl dem mitnichten so war, der Umsturz des Thrones und eine Gefährdung der Privatrechte der Staatsbürger. Folglich erinnerte er seine Standesgenossen an ihren dem Landesherrn geleisteten Lehneid, demnach sie ihrem obersten Lehnsherrn in einer Notlage "mit ihren Mannen zu Roß und zu Fuß zu Hülfe eilen sollen."

In der Folge griffen die Zeitungen im Lande, beseelt von der im politischen Frühlingserwachen der Revolution von 1848/49 gewonnenen Pressefreiheit, den unzeitgemäßen Hilfeschrei begierig auf. Allerdings nur, um ihn nach allen Regeln der satirischen Kunst auszuschlachten. In diesem Kontext entstand auch die bereits Anfang April 1849 in den Buchhandlungen zum Kauf angebotene Karikatur "Josua Emanuel Habacuc Klockhammer, der letzte Obotritenritter, rückt mit seinen Mannen zu Roß und zu Fuß zum Schutze seines Lehnsherrn herbei." Andere als diese Folgen zeitigte der Aufruf mit großer Sicherheit nicht, während sich nur wenige Jahre zuvor ein Ereignis zutrug, das der späteren Karikatur gut und gerne schon früher als Inspiration hätte dienen können.

An einem der letzten Apriltage des Jahres 1842 taten sich ein an der Grenze zwischen Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz beheimateter Gutsbesitzer und seine Kumpanen an dem gütlich, was Haus, Hof und vor allem Keller des Adligen so hergaben. Plötzlich gelüstete es ihn, den das Bericht erstattende Freimüthige Abendblatt anonym hielt und der dennoch unschwer als Friedrich von Ahrenstorf auf Krümmel zu identifizieren ist, "nach dem Schaumwein der Franzen, den man gewöhnlich Champagner nennt." Bei dessen wohl redlich erfolgender Beschaffung übertrieben es die von Ahrenstorf beauftragten Mannen,

eine sichere Belohnung ihres Diensteifers, entweder durch G e l d oder durch P r ü g e l , gewärtigend.

Sie galoppierten nämlich in voller Parforce durch den nahen Flecken Mirow, verschreckten damit jedoch einige brave Bürger, die "in aller Unschuld" meinten:

man könne gar füglich Champagner holen, ohne wie rasend durch die Straßen zu sprengen.

Die durch den anschließenden Wortwechsel schon leicht unruhige Situation entglitt allerdings erst, als in Mirow erneut zwei Reisige des Gutsbesitzers mit demselben Begehr und auf dieselbe Weise einfielen –

diesmal jedoch der eine mit einem Säbel bewaffnet, um sich nöthigenfalls mit G e w a l t Bahn machen zu können. Die Polizei schritt ein, und der Bewaffnete, welcher schon einen Bürgersmann angeblich leicht verwundet hatte, wurde in Verhaft genommen.

Über die nun folgende Eskalation berichtete die Zeitung wie folgt:

Der Ritter, von diesem Vorfall in Kenntniß gesetzt, gerieth gar sehr in Zorn, und berief in ritterlichem Muthe alle tüchtigen männlichen Insassen seines Guts zu einem Feldzug gegen Mirow, welche denselben auch, bewaffnet mit Sensen, Heu- und Mistgabeln etc., ohne Fehde- und Absagebrief, in nächtlicher Stille, ihren Herrn wohlgerüstet an der Spitze, ausführten.

Ein Gast bei dem Bankett hatte sich, um Unfall zu verhüten, eilig noch vor dem Abzuge des wilden Heers aus dem Staube gemacht, um der Behörde in M[irow] die grause Mähr zu verkünden und die Freilassung des Verhafteten zu erwirken, welches auch gegen Erlegung einer Caution gelang. Indessen war aber der Rittersmann nicht etwa a n t e p o r t a s geblieben, sondern schon mit seiner Heeresmacht eingerückt, und drohete das Haus des Polizeidieners, der seinen Getreuen in schnöde Haft brachte, mit stürmender Hand einzunehmen. Da blies die Nachtwache Feuerlärm und Sturmglocke wurde geläutet. Noch ehe aber die erschrockenen Mirower so recht zur Besinnung kamen, entfernte sich der Ritter ohne Furcht, mit heiler Haut und triumphirend. Einige Nachzügler des Trosses wurden jedoch angehalten und entwaffnet.

Der Zeitungskorrespondent schloss seine "schöne, neue Geschichte vom Jahre 1842", indem er ihren Folgen "mit gespannter Erwartung" entgegen sah. Die Erwartung dürfte sich bei der anschließenden gerichtlichen Untersuchung entspannt haben. Dennoch mögen der Aufruf von Josua Magnus Klockmanns und die daraufhin entstandene Karikatur in der Gegend um Mirow durchaus das eine oder andere Déjà-vu ausgelöst haben.

Dr. Matthias Manke, Landeshauptarchiv

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Der Feldzug gegen Mirow - Was adliger Champagnerdurst im Jahre 1842 und ein patriotischer Aufruf aus dem Jahre 1849 gemeinsam haben