Denkmal des Monats Mai 2024

Letzte Grüße in Mukran. Sowjetische Soldaten und ihr Abzug aus Deutschland

Abb. 3. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, südöstliches Wartehäuschen, von NordwestDetails anzeigen
Abb. 3. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, südöstliches Wartehäuschen, von Nordwest

Abb. 3. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, südöstliches Wartehäuschen, von Nordwest

Abb. 3. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, südöstliches Wartehäuschen, von Nordwest

Sowjetische Soldaten haben in den Jahren vor und nach 1990 in zwei Wartehäuschen zahlreiche Grußbotschaften als Inschriften auf Innenwänden hinterlassen. Die aus Betonfertigteilen errichteten Wartehäuschen befinden sich in Mukran auf der Insel Rügen und sind kürzlich in die Denkmalliste eingetragen worden. Sie stehen auf dem dortigen Güterbahnhof samt Fähranlage. Die Inschriften sind Dokumente für die Anwesenheit sowjetischer Truppen in Deutschland und ihren friedlichen Abzug bis 1994.

Das Gelände in Mukran mit einer Größe von 340 Hektar diente zuletzt hauptsächlich der Lagerung von Tausenden Stahlrohren. Sie waren bis zum Abbruch des Projekts für die deutsch-russische Nord-Stream-Pipeline zum Einsatz gekommen. Die Grußbotschaften haben ebenfalls mit dem Verhältnis von Deutschland zu Russland beziehungsweise der Sowjetunion zu tun. Sie beleuchten den Abschnitt deutscher und internationaler Geschichte, der unter der Bezeichnung Kalter Krieg vor drei Jahrzehnten zu Ende gegangen ist.

Der Güterbahnhof samt Fähranlage in Mukran auf der Insel Rügen, errichtet in den Jahren 1982 bis 1986, gehört neben dem Rostocker Überseehafen und dem neuen Straßen- und Schienennetz im Berlin der Nachkriegszeit zu den größten Verkehrsprojekten der DDR. Die Anlage entstand in der Absicht, langfristig den direkten Verkehr von Waren und militärischen Gütern zwischen der DDR und der Sowjetunion zu gewährleisten und damit den Landweg über das als politisch unzuverlässig angesehene Polen zu vermeiden. Vom Hafen Mukran unternahmen fünf Eisenbahnfähren den Verkehr mit der Sowjetunion über die Ostsee. Zielhafen war Klaipeda im heutigen Litauen. Die Kosten beliefen sich auf über zwei Milliarden DDR-Mark, die Gleise hatten eine Gesamtlänge von 120 Kilometer, 2.000 Menschen arbeiteten in der Anlage.1

Innerhalb des ehemaligen Fährhafens befinden sich zahlreiche von Südost nach Nordwest verlaufende Schienenstränge. Sie sind als Normal- oder als Breitspur ausgebildet. Der am nördlichen Randbereich befindliche Schienenstrang in Normalspur diente vorrangig dem Personentransport innerhalb des Hafens und in die Wohnorte der Beschäftigten. Daher sind dort an zwei Haltepunkten, einem südöstlichen und einem nordwestlichen, je zwei Wartehäuschen vorhanden. Diese sind weitgehend aus standardisierten Stahlbetonfertigteilen gefertigt, zeigen jedoch auf der Schauseite unterschiedliche Schmuckformen aus geometrischen Elementen.

An den beiden Wartehäuschen der südöstlichen Haltestelle – sie trägt den Namen Mukran-Mitte – sind die inneren Wandflächen mit zahlreichen Inschriften versehen (Abb. 1-5). Es handelt sich um Grußbotschaften sowjetischer Soldaten im kyrillischer Schrift, entstanden zwischen 1986 und 1994, zumeist jedoch aus den Jahren 1991 bis 1994. In der Regel sind sie mit Bleistiften oder Kugelschreiber auf den Putz geschrieben beziehungsweise in den Putz geritzt. In der Nähe dieser beiden Wartehäuschen befand sich diejenige mittlerweile abgebrochene Baracke, von der aus die sowjetischen Soldaten seit 1986 die Transporte überwachten und die ihnen als Unterkunft diente.

Abb. 6. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, nordwestliches Wartehäuschen, Inneres nach Nordwesten, Inschriften: ТУЛА обл. = TULA obl. (Bezirk/Region Tula), КИМОВСК Р-ОН = Kimowsk r-on (Gemeinde Kimowsk), МОЛОДЁНКИ = MOLODÖNKI (Dorf Molodönki), ШПМ = SCH P M (vermutlich Initialen)Details anzeigen
Abb. 6. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, nordwestliches Wartehäuschen, Inneres nach Nordwesten, Inschriften: ТУЛА обл. = TULA obl. (Bezirk/Region Tula), КИМОВСК Р-ОН = Kimowsk r-on (Gemeinde Kimowsk), МОЛОДЁНКИ = MOLODÖNKI (Dorf Molodönki), ШПМ = SCH P M (vermutlich Initialen)

Abb. 6. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, nordwestliches Wartehäuschen, Inneres nach Nordwesten, Inschriften: ТУЛА обл. = TULA obl. (Bezirk/Region Tula), КИМОВСК Р-ОН = Kimowsk r-on (Gemeinde Kimowsk), МОЛОДЁНКИ = MOLODÖNKI (Dorf Molodönki), ШПМ = SCH P M (vermutlich Initialen)

Abb. 6. Mukran, Lkr. Vorpommern-Rügen, Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens, Haltestelle Mukran-Mitte, nordwestliches Wartehäuschen, Inneres nach Nordwesten, Inschriften: ТУЛА обл. = TULA obl. (Bezirk/Region Tula), КИМОВСК Р-ОН = Kimowsk r-on (Gemeinde Kimowsk), МОЛОДЁНКИ = MOLODÖNKI (Dorf Molodönki), ШПМ = SCH P M (vermutlich Initialen)

Die Inschriften benennen die Herkunftsorte der Soldaten, versehen mit oder ohne Jahreszahlen (Abb. 6-8), geben mit einer Jahreszahl beziehungsweise einer Jahreszeit das Ende des zweijährigen Wehrdienstes an (ДMБ = DMB, Abkürzung für die Dеmobilisation) (Abb. 9-10), sprechen den Leser beziehungsweise die Leserin mit „Hallo Landsmann“ (Abb. 11) oder „Hallo Landsleute“ an und fügen den Heimatort hinzu – beispielsweise ПРИВЕТ ЗЕМЛЯКИ САРАНСК = Priwet semljaki Saransk, Hallo Landsleute Saransk (Abb. 12). Zu finden sind zudem aus offensichtlich gleicher Hand auch Namen von Hardrock-Bands wie ACDC oder Metallica (Abb. 13). Die hier dokumentierten Inschriften2 befinden sich ausschließlich in dem nordwestlich gelegenen Wartehäuschen. Sie bilden eine Auswahl. Im zweiten, südöstlich gelegenen Wartehäuschen, sind ebenfalls Inschriften erhalten, die noch einzeln zu erfassen sind.

Die kyrillischen Inschriften in den beiden Wartehäuschen des ehemaligen Eisenbahn-Fährhafens Mukran sind außergewöhnliche Zeugnisse für die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung und der damit verbundenen Veränderungen in Europa. Sie dokumentieren die Anwesenheit sowjetischer Truppen in der Zeit der späten DDR und insbesondere den Abzug dieser Truppen, wie er im Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den Alliierten und den beiden deutschen Staaten im September 1990 für die folgenden vier Jahre festgelegt worden war. Es handelte sich bei dem Abzug um die größte Truppenverlegung der Militärgeschichte in Friedenszeiten.3

Die Inschriften stammen von Soldaten der Sowjetunion, die zum einen in den Anfangsjahren zwischen 1986 und 1990 den Fährverkehr zwischen der DDR und der Sowjetunion überwachten. Zum anderen, und dies in weitaus größerer Anzahl, sind sie authentische Hinterlassenschaften aus der Zeit zwischen 1991 und 1994, als Soldaten, zugehörig der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), den Abzug der Truppen aus dem wiedervereinigten Deutschland abwickelten und selbst über diesen Hafen das ehemalige Bruderland verließen. Der Abzug der sowjetischen Truppen, der in weiten Teilen mit bis zu 190 Meter langen Fähren über Mukran bewerkstelligt wurde, betraf nicht nur über 500.000 Soldaten, Mitarbeiter und Angehörige, sondern auch Waffen samt Atomsprengköpfen sowie allgemeines Material einschließlich deutschen Baumaterials für den Hausbau der Soldaten in der Heimat.

Der Autor Wolfgang Klietz hat die Situation von 1991 im Fährhafen Mukran in einer Impression festgehalten, von der die erhaltenen Inschriften bis heute ein Nachhall sind:

„Die militärische Disziplin ist dahin. Zu Hunderten stehen die Männer an der Pier, die Hände in den Hosentaschen, die überdimensionierten Mützen zumeist in den Nacken geschoben. Hätte ihr Land sie nicht in die Uniform der Armee gesteckt, würde man die dürren Bengel am liebsten zu ihrer Mutter schicken. Spitz stehen die Wangenknochen aus den Gesichtern hervor. Ihr Blick ist leer. Das Durchschnittsalter liegt unter 20 Jahre. […]

Bei sich tragen die meisten nur ein kleines Bündel, der einzige private Besitz, der erlaubt ist. Dazu kommen ein paar Habseligkeiten für die Reise: eine kleine Kiste mit Apfelsinen, notdürftig eingewickelter Proviant.4

Die kyrillischen Inschriften der sowjetischen Soldaten in den Wartehäuschen des Hafens von Mukran in ihrer individuellen Schrift und ihrem persönlichen Ausdruck, sind Dokumente und unmittelbarer Ausdruck einfacher Menschen, die im Verlauf ihres Lebens in eine Zäsur der europäischen Geschichte geworfen worden sind. Sie sind Ausdruck der Selbstvergewisserung, wie sie durch Ritzungen in Stein seit frühester Zeit vorhanden sind.

Die Inschriften von Mukran aus den Jahren 1991 bis 1994 bilden das historische Gegenstück zu denjenigen, die Soldaten der Roten Armee nach ihrem Sieg gegen das Deutsche Reich im Berliner Reichstag hinterließen (Abb. 14). Gleichsetzen lassen sich beide Ereignisse nicht, da die Inschriften in Berlin im kollektiven Gedächtnis mit dem Heldenmut von Einzelnen und eines ganzen Volks sowie der Überwindung einer bis dahin nicht gekannten Barbarei in Verbindung stehen. Gleichwohl bilden die Inschriften von Mukran ein Pendant zu denen in Berlin, da sie das Ende einer Großmacht im Land des ehemaligen Feindes und späteren Verbündeten in großer Intensität durch Zeichen menschlicher Individualität und persönlichen Ausdrucks dokumentieren.

Dr. Jörg Kirchner


1 Wolfgang Klietz, Ostseefähren im Kalten Krieg, Berlin 2012; Wolfgang Klietz, Mukran – Verkehrsknoten für den Waffenbruder UdSSR, in: geschichtsspuren.de, 10.03.2010, https://www.geschichtsspuren.de/artikel/verkehrsgeschichte/186-mukran-verkehrsknoten.html, Einsichtnahme 30.08.2023.

2 Transkription und Übersetzung der Inschriften von Alla Dmytruk, Landeshauptarchiv Schwerin.

4 Klietz, wie Anm. 1, S. 8.

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