Ente gut, alles gut! Bronzezeitliche Schiffe in Ostmecklenburg

Fund des Monats Februar 2023

Restauriertes Rasiermesser mit S-förmig gebogenem Griff, zusammengesetzt aus zwei Fragmenten.Details anzeigen
Restauriertes Rasiermesser mit S-förmig gebogenem Griff, zusammengesetzt aus zwei Fragmenten.

Abb. 1: Hohenzieritz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Rasiermesser mit S-förmig gebogenem Griff, zusammengesetzt aus zwei Fragmenten. Restaurierung: Birgit Bartel, LAKD MV/LA;

Abb. 1: Hohenzieritz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Rasiermesser mit S-förmig gebogenem Griff, zusammengesetzt aus zwei Fragmenten. Restaurierung: Birgit Bartel, LAKD MV/LA;

Schiffe spielten während der gesamten Bronzezeit im Nordischen Kreis eine herausragende Rolle. Deutlich zeigen dies die zahlreichen Felsbilder in Skandinavien, auf denen immer wieder Schiffe zu sehen sind. Doch auch auf Bronzen, insbesondere auf Rasiermessern, finden sich nicht selten Schiffsdarstellungen. Überraschend ist das nicht, denn Schiffe waren für den Warentransport – und somit auch für die Versorgung mit Bronze – eminent wichtig. Schiffe waren aber nicht nur ein Gegenstand der Bewegung in der realen Welt, sondern auch das Symbol für den Transport der Sonne in der göttlichen und mythologischen Sphäre.

Aus Mecklenburg-Vorpommern liegen verschiedene Bronzen mit Schiffsdarstellungen vor, wobei die Hornbeschläge von Wismar (Kaul 2015) und der "Tanzring" von Roga, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte (zur möglichen Deutung: Sommerfeld 2010, 542 ff. Abb. 10-12), sicherlich die bekanntesten Stücke sind. Auch auf Rasiermessern finden sich Schiffsbilder, jedoch deutlich seltener als im Kerngebiet des Nordischen Kreises, wo sie der bevorzugte Träger von Schiffsdarstellungen waren, wie die hervorragende Zusammenstellung von Flemming Kaul – nicht verwandt mit Niklas Kaul, dem deutschen Zehnkampf-Europameister – belegt (Kaul 1998).

Daher verdient ein Fundkomplex besondere Beachtung, der im September 2021 durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Branko Werner bei Hohenzieritz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, entdeckt wurde. In leicht abfallendem Gelände barg er, über eine Strecke von etwa 90 m verteilt, sechs Bronzefunde. Zwei Fragmente gehören zu einem schiffsverzierten Rasiermesser mit S-förmig gebogenem Griff (Abb. 1), vier zu einem Griffangelschwert (Abb. 2). Da Rasiermesser dieses Typs nahezu ausschließlich in Gräbern vorkommen, dürfte es sich bei diesen Objekten um die Beigaben eines angepflügten Grabes handeln.

Die Schwertteile stammen von einem Griffangelschwert des Typs Grabow-Kritzowburg nach Wüstemann (2004, 99 ff.). Typisch für diese Form ist eine lange Angel, die in geschweiftem Bogen mit leicht gewölbten, fast geraden Schultern in die Klinge übergeht. Vollständig erhaltene Stücke sind oft auffallend kurz und erreichen bisweilen nur Längen von 45 bis 50 cm. Dies gilt offenbar auch für das Stück aus Hohenzieritz, dessen erhaltene Teile auf eine filigrane, sehr kurze Waffe schließen lassen. Zeitlich gelten Schwerter dieses Typs als Formen der Periode IV (etwa 1100 – 900 v. Chr.).

In Periode IV gehört wohl auch das Rasiermesser. Es handelt sich um einen 9,2 cm langen Vertreter der Rasiermesser mit S-förmig zurückgebogenem Vogelkopfgriff (Typ XI B 2 a nach Baudou 1960, 33 f.). Der drahtförmige Griff ist wie ein Enten- oder Schwanenhals zurückgebogen und am Ende schnabelartig abgeflacht (Abb. 3). Kurz oberhalb des Schnabels befinden zwei seitliche, augenartige Verdickungen, die dem Griff ein naturnahes, entenkopfartiges Aussehen verleihen (Abb. 4).

Noch bemerkenswerter ist allerdings die sorgfältige Verzierung der Klinge, die aus sechs parallelen Linien besteht, die am Ansatz des Entenkopfgriffes beginnen und den Klingenrücken entlang führen (Abb. 5). Die beiden randlichen Linien, deren Zwischenraum mit Querstrichen ausgefüllt ist, biegen am Klingenende ein und enden in einem stark abgeriebenen Kreismotiv (Abb. 6). Das mittlere Linienpaar schließt mit einem S-förmig einbiegenden Pferdekopfsteven ab, der dem Bild auf der 2015 entdeckten Plattenfibel aus Babke sehr ähnlich ist (siehe Schmidt 2018, Abb. 20). Auch die beiden inneren Linien laufen in einem Steven aus, werden aber außerdem zur Klingenmitte von einer Dreieckspunzreihe begleitet. Alle Motive waren ehemals mit einer schwarzen Masse ausgefüllt, die einen Farbkontrast gegenüber der Bronze bewirkte (Abb. 7).

Bei dem Fundstück handelt es sich um den häufigsten Rasiermessertyp im Norden, der besonders zahlreich für Nordjütland und von der dänischen Insel Seeland vorliegt (Baudou 1960, 33 Karte 21; Tackenberg 1971, 278 f. Karte 27). Er war vornehmlich während Periode IV und dem Übergang zu Periode V in Umlauf (Baudou 1960, 33). Aus Mecklenburg-Vorpommern liegen aktuell etwa 20 Exemplare dieses Typs vor, doch sind nur zwei davon mit Schiffsmotiven versehen. Eines stammt aus dem nur etwa 6 km von Hohenzieritz entfernten Zechow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte (Hundt 1997, 82 Nr. 261 Tafel 86, 12), das andere vom Gräberfeld Neubrandenburg (Fundplatz 41), wobei das dortige Schiff nur noch undeutlich zu erkennen ist (Fenske 2017). Somit beschränken sich die drei bekannten Schiffsdarstellungen aus dem Arbeitsgebiet auf ein Areal von weniger als 20 km Länge, das offenbar gute Kontakte in den übrigen Nordischen Kreis unterhielt.

Die Verzierung des Rasiermessers vermittelt gute Einblicke in die jungbronzezeitliche Glaubenswelt: Auf der Klinge sind zwei Schiffe mit Pferdekopfsteven abgebildet, die in dieselbe Richtung fahren – direkt auf die Sonne zu, die durch einen Kreis symbolisiert wird. Für den täglichen Lauf der Sonne hatten sowohl das Schiff als auch das Pferd herausragende Bedeutung. Hier sind beide zusammen mit der Sonne zu sehen (Kaul 1998, 195 ff.; 199 ff.). Da jeweils nur ein Pferdekopfsteven abgebildet ist, sind die Schiffe auf den ersten Blick unvollständig. Sieht man genauer hin, so erkennt man den S-förmig zurückgebogenen, als Entenkopf endenden Griff als zweiten Steven. Demnach finden sich auf diesem Rasiermesser einerseits Hinweise auf den nordischen Sonnenkult, andererseits aber auch Bezüge zur – auch im Norden – während der jüngeren Bronzezeit allgegenwärtigen Wasservogelsymbolik und zur Vogelsonnenbarke der Urnenfelderkultur (vgl. dazu Sprockhoff 1962, 36 ff.; Kaul/Freudenberg 2007, 95 ff.). Die Verzierung ist also weit mehr als reine Ornamentik!

Ohnehin tragen die Darstellungen auf den Rasiermessern wesentlich zum Verständnis der nordischen Mythologie bei (Kaul/Freudenberg 2007, 84). Sie zeigen das Schiff als göttlichen Mittler, ohne den die ewige Reise der Sonne durch Tag und Nacht undenkbar ist (Abb. 8). Die einzelnen Rasiermesser zeigen jeweils nur kurze Abschnitte dieses Weges. Die Schiffe auf ihnen sind in der Regel nicht symmetrisch gestaltet, sondern lassen eine Fahrtrichtung erkennen. Fährt ein Schiff nach rechts, so trägt es die Sonne bei Tag, denn der Lauf der Sonne geht für Menschen auf der nördlichen Halbkugel von links nach rechts. Fährt ein Schiff nach rechts, so sorgt es für den nächtlichen Transport der Sonne nach Osten, damit sie am nächsten Tag wieder im Osten aufgehen kann.

Betrachtet man das Hohenzieritzer Rasiermesser, so fährt es nach links – und bringt die Sonne zurück zum Ort des Sonnenaufgangs. Das zweite Schiff fährt offenbar in dieselbe Richtung, doch könnte es sich auch um das Tagschiff handeln, welches die Sonne tagsüber noch Westen bringen soll (vgl. Kaul/Freudenberg 2007, 86). Bei den Messern der Periode V sieht man in dieser Phase oft Fische oder Pferde als aktiv Handelnde, die auf unserem Messer fehlen. Andererseits besitzen beide Schiffe Pferdekopfsteven, die dieses Manko zumindest teilweise ausgleichen.

Dr. Jens-Peter Schmidt

Literatur:

Baudou 1960: E. Baudou, Die regionale und chronologische Einteilung der jüngeren Bron­zezeit im Nordischen Kreis. – Studies in North-European Archaeology 1. Stockholm 1960.

Fenske 2017: R. Fenske, Hausurnen und Steinkisten. – Archäologie in Deutschland 4/2017, 44.

Hundt 1997: H.-J. Hundt, Die jüngere Bronzezeit in Mecklenburg. – Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 31. Lübstorf 1997.

Jöns 2004: H. Jöns, Bilder und Symbole – Schlüssel zur Geisteswelt und Religion der Bronzezeit? In: Mythos und Magie. Archäologische Schätze der Bronzezeit aus Mecklenburg-Vorpommern. – Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern 3, 161-169. Lübstorf 2004.

Kaul 1998: F. Kaul, Ships on Bronzes. A Study in Bronze Age Religion and Iconography. – Publications from the National Museum. Studies in Archaeology & History 3. Copenhagen 1998.

Kaul 2015: F. Kaul, Lurens forløber. – Skalk 5/2015, 14-17.

Kaul/Freudenberg 2007: F. Kaul/M. Freudenberg, Sonne und Schiff. Die Schiffsdarstellungen des Nordens in der Bronzezeit. In: C. von Carnap-Bornheim/C. Radtke (Hrsg.), Es war einmal ein Schiff. Archäologische Expeditionen zum Meer, 77-107. Hamburg 2007.

Schmidt 2018: J.-P. Schmidt, Ein jungbronzezeitlicher Hortfund vom „Schulzenwerder“ bei Babke, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. – Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 66, 2018, 7-31.

Sommerfeld 2010: Chr. Sommerfeld, Die Kehrseite - Anmerkungen zur Rolle des Mondes in der Ikonographie der Bronzezeit. In: H. Meller/F. Bertemes (Hrsg.), Der Griff nach den Sternen. Wie Europas Eliten zu Macht und Reichtum kamen. Internationales Symposium in Halle (Saale) 16.-21. Februar 2005. – Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) 5, 537-551. Halle/S. 2010.

Sprockhoff 1962: E. Sprockhoff, Nordische Bronzezeit und frühes Griechentum. – Bremer Archäologische Blätter 3, 1962, 28-110.

Wüstemann 2004: H. Wüstemann, Die Schwerter in Ostdeutschland. – Prähistorische Bronzefunde IV, 15. Stuttgart 2004.

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