Alles hat ein Ende - auch der Feuerstellenplatz von Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg!

Fund des Monats Mai 2021

Abb. 1. Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. Schon kurz nach Beginn des Oberbodenabtrags zeigte sich die bemerkenswerte Befunddichte.Details anzeigen
Abb. 1. Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. Schon kurz nach Beginn des Oberbodenabtrags zeigte sich die bemerkenswerte Befunddichte.

Abb. 1. Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. Schon kurz nach Beginn des Oberbodenabtrags zeigte sich die bemerkenswerte Befunddichte.

Abb. 1. Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. Schon kurz nach Beginn des Oberbodenabtrags zeigte sich die bemerkenswerte Befunddichte.

Bei der Bewertung jungbronzezeitlicher Feuerstellenplätze gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Die einen – insbesondere die Ausgräber solcher Plätze – können ihnen nur wenig Positives abgewinnen, denn die Dokumentation von zahlreichen, fast immer gleich aufgebauten Gruben, die zudem in der Regel kein Fundmaterial enthalten, ist nicht wirklich spannend und herausfordernd. Andere – insbesondere auswertende Wissenschaftler – finden die Feuerstellenansammlungen hochinteressant und bezeichnen sie gern als "eines der letzten großen Rätsel der Archäologie". Die Vertreter der dritten und größten Gruppe schließlich quittiert Letzteres mit leichtem Lächeln, stellt sich aber trotzdem die Frage, warum man solche Plätze angelegt hat und was dort vor sich ging. Nach Abschluss der Grabungen in Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg, ist diese Frage drängender denn je.

2010 wurde beim Mutterbodenabtrag im Kiestagebau Naschendorf ein Feuerstellenplatz mit mehreren Feuerstellenreihen entdeckt und partiell untersucht. Bereits 2011 folgte eine zweite Grabungskampagne, bei deren Abschluss fast 300 Feuerstellen dokumentiert worden waren. Diese ließen sieben Feuerstellenreihen erkennen, die offenbar ohne unmittelbaren Bezug zueinander angelegt worden waren. Das war eine kleine Sensation, denn es gab in ganz Nordeuropa nur fünf ähnlich komplex angelegte Plätze.

Da die südlich anschließenden Flächen aber zunächst nicht abgebaut werden sollten, dauerte es bis Januar 2019, bis der dortige Mutterbodenabtrag wieder aufgenommen wurde. Fast 200 weitere Feuerstellen kamen im östlichen Randbereich des Platzes zutage und deuteten an, dass im westlich anschließenden Areal mit einer hohen Fundplatzdichte zu rechnen war.

Dies bestätigte dann auch der ab Dezember 2019 durchgeführte Oberbodenabtrag eindrucksvoll. In zwei Grabungskampagnen – eine unter der Leitung von Fabian Möller, die andere von Norbert Kuhlmann geführt – wurde die fast 1,4 Hektar große Untersuchungsfläche dokumentiert und Anfang Juli 2020 für den Abbau freigegeben. Insgesamt wurden 1863 Befundnummern vergeben, wobei Feuerstellen das Befundspektrum mit 1667 Exemplaren klar dominierten. Unerwartet war indes, dass auch 79 Siedlungsgruben und fast 50 Pfostengruben aufgedeckt wurden. Sie zeigten, dass der Platz nicht nur zu Anlage eines jungbronzezeitlichen Feuerstellenplatz genutzt worden war, sondern in Teilbereichen auch während der Jungsteinzeit, der römischen Kaiserzeit und der älteren Slawenzeit als Siedlungsplatz gedient hatte. Außerdem gab es eine neuzeitliche Grabeneinhegung unbekannter Funktion, die eine gut 0,4 Hektar große Fläche umschloss.

Das Gros der aufgedeckten Befunde stellen jedoch die Feuerstellen, von denen insgesamt 1667 zutage kamen. Sie zeichneten sich zumeist recht deutlich als dunkle Verfärbungen im hellen Untergrund ab, wobei nicht selten schon im Planum auch feuerzermürbte Steine sichtbar waren. In der Regel handelte es sich um Eingrabungen mit rundem oder ovalen Umriss, deren Durchmesser zumeist zwischen 0,7 m und 1,3 m lagen, während die ovalen Vertreter im Mittel eine Größe von etwa 120 x 95 cm erreichten. Die Resttiefe der mulden- oder wannenförmigen Profile bewegte sich zumeist zwischen 15 und 25 cm. Der Aufbau der Verfüllung war in der Regel ähnlich, denn zumeist befand sich im unteren Teil der Eingrabung eine Schicht aus stark holzkohlehaltiger Branderde, in bzw. auf der sich eine unterschiedlich große Anzahl feuerzermürbter Steine befand. Manchmal wurden sie ohne erkennbares System innerhalb der Branderdeschicht angetroffen, manchmal zeigte sich aber auch – insbesondere bei den tiefer reichenden Anlagen – dass die Steine dicht gepackt, bisweilen pflasterartig in die Gruben eingebracht waren. Am besten ließ sich dies bei den etwa 50 Kochgruben nachweisen, die zumeist trichter- oder kesselförmig eingetieft waren und Resttiefen zwischen 0,5 m und 1,14 m aufwiesen.

Das Besondere an diesem Platz ist aber die Tatsache, dass die meisten Feuerstellen zu einem linear strukturierten Feuerstellenplatz der jüngeren Bronzezeit gehören. Nachdem bei den früheren Grabungen bereits zehn Reihen ermittelt worden waren, gelang es nun, nicht nur die bislang nur partiell erfassten Reihen vollständig aufzudecken, sondern auch 22 neue Reihen nachzuweisen. Die längste Reihe in Naschendorf konnte über eine Strecke von 160 m aufgedeckt werden (Reihe 5), doch gibt es noch vier weitere Feuerstellenreihen, für die eine Länge von deutlich über 100 m belegt ist. Diese Reihen umfassten zwischen 70–105 Einzelbefunde, doch variierte die Größe der Reihen sehr stark, denn es gab auch Anlagen, die nur 12 m lang waren und aus 8–9 Befunden bestanden.

Vielfältig präsentierte sich auch die Ausrichtung der Feuerstellenreihen. Zwar dominierten Verläufe in Ost-West-Richtung, doch gab es auch sowohl Nord-Süd ausgerichtete Anlagen als auch kurvige Reihen. Durch die unterschiedlichen Ausrichtungen kam es mehrfach zur Überschneidung von Reihen, in einem Fall überlagerten sich sogar zwei Reihen auf einer Strecke von etwa 50 m. 14C-Analysen deuten an, dass diese beiden Anlagen offenbar im Abstand von mindestens einem Jahrhundert angelegt wurden. Im Übrigen lassen die 14C-Daten erkennen, dass die Reihen sowohl während Periode V als auch in Periode VI angelegt wurden und somit auf diesem Feuerstellenplatz deutlich länger Reihen angelegt wurden als auf anderen Plätzen dieses Typs. Bedauerlicherweise sind die Werte infolge des Hallstatt-Plateaus in der Kalibrationskurve sehr ungenau.

Bemerkenswert ist, dass mehrere Feuerstellen Keramikfragmente jungbronzezeitlicher Machart enthielten, denn normalerweise enthalten die Befunde dieser Fundplätze keine Funde. Aus Befund 568 stammen sogar 80 Scherben eines zweigliedrigen Kegelhalsgefäßes, Befund 1727 enthielt Scherben eines Napfes mit vermutlich randständigem Bandhenkel und Befund 2019 große Teile eines Doppelkonus mit weichem, mittelständigem Umbruch – alles Formen, die typisch für die ausgehende Bronzezeit (Periode V/VI) sind.

Auch wenn aktuell für das nördliche Mittel- und südliche Nordeuropa weit über 80 Fundplätze mit Feuerstellenreihen bekannt sind, ist der Komplex von Naschendorf einzigartig. Dies gilt zum einen für seine Größe, denn zusammen mit den älteren Untersuchungen wurden dort mehr als 2100 Feuerstellen dokumentiert. Zum anderen ist die Tatsache, dass die Reihen unterschiedlich ausgerichtet sind und sich teilweise sogar kreuzen, hervorzuheben, denn Anlagen, bei denen die Reihen nicht parallel verlaufen, sondern divergieren oder keinen Bezug aufeinander zu nehmen scheinen, waren lange Zeit nur aus dem südlichen Skandinavien bekannt. Mit Naschendorf umfasst diese Gruppe nunmehr sechs Vertreter. Dies deutet auf eine überdurchschnittlich lange Nutzungszeit hin, was auch die 14C-Daten belegen.

Aber warum hat man Feuerstellenplätze angelegt? Unstrittig ist – und ethnographische Parallelen belegen dies eindeutig –, dass die Anlagen für die Zubereitung von Speisen gedient haben. Dabei wurden die Speisen, eingeschlagen in Blätter oder Rinde, zwischen die erhitzten Steine gelegt und dann über längere Zeit gegart. Dies war jedoch kein Vorgang im Rahmen der alltäglichen Essensbereitung, denn zeitgleiche Siedlungen sind in der näheren Umgebung von Feuerstellenplätzen in der Regel nicht nachweisbar. Trotzdem dienten die Anlagen zur Versorgung von größeren Menschengruppen, wie die zahlreichen Feuerstellen nahelegen. Dass dies kein einmaliger Akt war, sondern die Anlage über viele Generationen, vermutlich über Jahrhunderte hinweg, aufgesucht wurde, lassen die zahlreichen Reihen von Naschendorf vermuten.

Wahrscheinlich diente der Feuerstellenplatz von Naschendorf als Versammlungsort für eine größere Siedlungsgemeinschaft, der im Rahmen bedeutender, stets auch religiös motivierter Zusammenkünfte aufgesucht wurde. Dabei ist der konkrete Anlass dieser Versammlungen anhand archäologischer Quellen nicht zu bestimmen, doch sind Feiern bei Aussaat oder Ernte, zur Ahnenverehrung oder auch zur Sonnenwende in Betracht zu ziehen. Dabei ist das gemeinsame Mahl und das gemeinsame Zubereiten stets ein integrierender Bestandteil der Veranstaltung, durch den die Gruppenzugehörigkeit unterstrichen und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt wurde. Die enorme Anzahl an Befunden zeigt eindrucksvoll, dass dies sicherlich keine einmalige, sondern eine immer wiederkehrende Aktivität war. Nachdem lange Zeit kein Ende der Reihen in Sicht war, dürfte dieser einzigartige Platz nun vollständig erfasst sein – wofür vor allen den Ausgräbern herzlich gedankt sei.

Dr. Jens-Peter Schmidt

Literatur zu den bisherigen Untersuchungen in Naschendorf:

F. Mewis/J.-P. Schmidt, Die Feuerstellenreihen von Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. – Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 18, 2011, 62–75.

J.-P. Schmidt, Kein Ende in Sicht? – Neue Untersuchungen auf dem Feuerstellenplatz von Naschendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. – Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 19, 2012, 26–46.

Literatur (mit weiterführenden Literaturhinweisen):

I. Beilke-Voigt, Bronzezeitliche Feuerstellenreihen – Kochgruben, Totenfeuer oder Kultplätze? In: A. Jaszewska/A. Michalak (Red.), Ogień - Żywioł ujarzmiony i nieujarzmiony. VI. Polsko-Niemieckie Spot­kania Archeologiczne Garbicz, 5-6 czerwca 2008. – Biblioteka Archeologii Środkowego Nadodrza 4, Zielona Góra 2011, 79–94.

G. B. Bukkemoen, Cooking and feasting: Changes in food practice in the Iron Age. In: F. Iversen/H. Petersson (ed.), The Agrarian Life of the North 2000 BC - AD 1000. Studies in Rural Settlement and Farming in Norway. Kristiansand 2016, 117–131.

P. Eriksen/P. O. Rindel, Hulbælternes funktioner. In: P. Eriksen/P. O. Rindel (Red.), Lange linjer i landskabet: hulbælter fra jernalderen. – Jutland Archaeological Society publications 104, Højbjerg 2018, 409-420.

I. Heske/P. Lüth/M. Posselt, Deponierungen, Gargruben und ein verfüllter Wasserlauf. Zur Infrastruktur der Hünenburg-Außensiedlung bei Watenstedt, Lkr. Helmstedt. Vorbericht über die Grabung 2011. – Praehistorische Zeitschrift 87, 2012, 308–337.

M. Løvschal/D. Fontijn, Directionality and axiality in the Bronze Age: cross- regional landscape perspectives on ‘fire pit lines’ and other pitted connections. – World Archaeology 2018 , DOI: 10.1080/00438243.2018.1488609.

J.-P. Schmidt, Garküchen auf freiem Feld? – Feuerstellenplätze im Trassenverlauf von OPAL und NEL. In: D. Jantzen/L. Saalow/J.-P. Schmidt (Hrsg.), Pipeline : Archäologie. Ausgrabungen auf den großen Ferngastrassen in Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin 2014, 145–154.

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