Ansichtssache: Ein figürlicher Messerscheidenbeschlag aus Hohenbrünzow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte

Fund des Monats Oktober 2022

Abb. 1. Hohenbrünzow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die verschiedenen Ansichten  geben einen Eindruck von der Problematik der richtigen Ausrichtung und formalen Ansprache des Messerscheidenbeschlags. Foto: LAKD M-V/LA, Andreas Paasch.Details anzeigen
Abb. 1. Hohenbrünzow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die verschiedenen Ansichten  geben einen Eindruck von der Problematik der richtigen Ausrichtung und formalen Ansprache des Messerscheidenbeschlags. Foto: LAKD M-V/LA, Andreas Paasch.

Abb. 1. Hohenbrünzow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die verschiedenen Ansichten geben einen Eindruck von der Problematik der richtigen Ausrichtung und formalen Ansprache des Messerscheidenbeschlags. Foto: LAKD M-V/LA, Andreas Paasch.

Abb. 1. Hohenbrünzow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die verschiedenen Ansichten geben einen Eindruck von der Problematik der richtigen Ausrichtung und formalen Ansprache des Messerscheidenbeschlags. Foto: LAKD M-V/LA, Andreas Paasch.

Manche archäologischen Objekte liegen förmlich auf der Hand. Auge und Verstand erfassen Form und Funktion sofort, wenn sie durch unser Wissen bestätigt werden. Oder ein Objekt wird erkannt, weil es in vergleichbarer Form heute noch existiert. Doch auch umgekehrt gibt es das Phänomen, dass man einen archäologischen Fund erst lange in den Händen drehen muss, um überhaupt einen Ansatz zum Verständnis zu finden.

Ein merkwürdiges Objekt aus einer spätslawischen Siedlung in der Gemarkung Hohenbrünzow (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) stellte auch den Finder, den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Matthias Hellwig, zunächst vor ein Rätsel. Erst wenn man die lange Kante unten und das Profil des Blechs darüber betrachtet, erkennt man im günstigsten Fall so etwas wie ein stark stilisiertes Tier, das sich nach rechts wendet. Versteht man den Grad der Vereinfachung erst einmal, dann geben sich plötzlich drei Beine zu erkennen, auf denen das Tier steht. Das vierte Bein ist gerade vor der Brust nach vorne gerichtet und scheint in einer U-förmigen Klaue zu enden. Auf einem dünnen Hals sitzt ein fast spitzovaler, vorwärts gerichteter Kopf, an dem vor allem ein ebenso geformtes Auge und ein nach hinten gerichteter spitzer Schopf auffallen. Schräg über die lange Schnauze laufen Linien, ebenso sind hinter dem Auge, in Richtung Schopf, solche Linien erkennbar. Das Hinterteil oder die Kruppe des Vierbeiners scheinen ebenfalls durch eingezogene Linienführungen dargestellt. Eingefasst ist der mit einer dichten, tiefen Punktierung gefüllte Leib mit einer tiefen Rille. Mitten auf dem Körper ist eine Vertiefung in Form eines liegenden Kreuzes erkennbar, dessen Enden kugelig verdickt erscheinen. Die Unterkante der Tierfigur ist nach vorne durch eine Art profilierte Leiste verlängert, die ein Quadrat trägt, gefüllt mit einem geflügelten Vierwirbel. Die Linie verläuft dann weiter, mit rhombisch angeordneten Linien gefüllt, und endet in einem eingefassten runden Nietloch. Die Materialdicke weist als Ausgangsform auf einen flachen, nachträglich gepunzten und in die Endform gebogenen Flachguss oder ein dickes Buntmetallblech hin. Die Länge der Figur, die profilierte "Fußleiste" mitgerechnet, beträgt insgesamt 4,5 cm.

Die Suche nach Vergleichen dauert zum Glück nicht lange, sind doch sind derartige Objekte, bei denen es sich um die Endbeschläge von Messerscheiden handelt, in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung gewesen (zuletzt SCHANZ 2009, davor GROSS u.a. 1993, GABRIEL 1991 und TIMPEL 1987). Und so liegen uns zum Vergleich sehr viele Funde vor, die sich alle in ihrer Formensprache und Ausführung ähnlich sind. Ihre Verwendung als Messerscheidenbeschläge ist wiederholt belegt durch slawische Friedhöfe, wo Messer als Totenbeigabe noch in Scheiden steckten, die wiederum mit entsprechenden Beschlägen verziert waren. Ein vergleichsweise reiches Vergleichsmaterial… sollte man wenigstens meinen. Denn der Beschlag ist, bei allen Übereinstimmungen, zwar den bekannten Typen bis ins Detail vergleichbar –und trotzdem weist er Unterschiede zu anderen Beschlägen auf.

Figürlich gestaltete Messerscheidenbeschläge kennen wir zwischen Nordwestdeutschland und Polen. Der Schwerpunkt ihrer Verbreitung liegt im Gebiet der Salierherrschaft und in der Kontaktzone zu den Westslawen. Datiert werden sie allgemein in das 11.-12. Jahrhundert. Die bildnerische Gestaltung ist meist stark stilisiert und zeigt einen Vierfüßer, der, seinen Kopf (manchmal mit Nackenschopf oder angelegten Ohren?) auf den Rücken gewandt, nach hinten schaut. Bei vielen dieser Beschläge fällt auch die flächige Punktfüllung der Körperoberfläche ins Auge. Als technisches Element zur Halterung ist wohl die leistenförmige Verlängerung zu Füssen des Tieres zu werten, an deren Ende ein Nietloch angebracht ist. Den Gemeinsamkeiten stehen die individuellen Gestaltungsdetails des Beschlags aus Hohenbrünzow gegenüber. Dieses Tier schaut nicht wie alle anderen rückwärts, sondern wendet den Kopf geradeaus. Der Kopf ist "eindeutiger" als die Köpfe der bislang bekannten Tiere: die mandelförmigen Augen, die merkwürdigen "Striche" an der Schnauze und der Nackenschopf sind ausgeprägt.

Die zuletzt genannten Merkmale finden sich u. a. bei Tierdarstellungen der skandinavischen Kunst der späten Wikingerzeit wieder. Seit dem Jelling-Stil (ab ca. 920) bis zum Urnesstil (bis um 1120) sowie in der romanischen Epoche (ab 1120/30) werden Tiere nicht nur mit Blick nach vorne dargestellt, sondern auch Nackenschöpfe, tropfenförmige oder spitzovale Augen, Schnauzen- und Kopftentakeln sowie punktgefüllte Körper sind üblich. In langer skandinavischer Tradition steht übrigens auch der vierflügelige Wirbel, der in dem Kästchen zu Füßen des Tieres aus Hohenbrünzow dargestellt ist und auf keinem der bisher bekannten Scheidenbeschläge vorhanden war. Die Vierfüßer Skandinaviens treten in großer Variationsbreite auf und zeugen von der gegenseitigen Beeinflussung kontinentaler Kunst. Besonders bekannt ist das heraldisch aufgefasste "große Tier" der Zeit um 960-985 auf dem Jellingstein, ein Zeugnis der Einführung des Christentums unter König Harald Blauzahn und in seiner Zeit eine einzigartige Darstellung. Zwar spielte das "große Tier" bereits vorher eine Rolle, physiologisch gibt es sich aber erst im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts unter anderem auch als Löwe zu erkennen.

Damit sind wir bei dem eigentlichen Problem: lassen sich löwenartige Tiere des 10. Jahrhunderts in gleicher Weise deuten wie solche des späten 12. Jahrhunderts? Mit dem Geschlecht der Welfen sind, seit Heinrich dem Löwen, im Salier-Reich die mächtigen Raubkatzen auch auf Münzen, wie z. B. Brakteaten, zu finden. Dort gab es mit dem sogenannten "Braunschweiger Löwen", unter dem Welfen-Herzog Heinrich als erste freistehende Plastik (vergoldete Bronze) nördlich der Alpen nach der Antike (1164-1181) errichtet, ein in seiner Zeit mit Sicherheit Aufsehen erregendes Monument. Die Kreuzzüge des Welfen-Herzogs ab 1147 gegen slawische Stämme erreichten mit der Neuordnung der obodritischen Herrschaft zwischen 1160 und 1163 ihren Abschluss. Im Stammesgebiet der Welfen und ihrer Konföderierten, aber auch bei den östlichen Nachbarn, also den westslawischen Stämmen, dürfte somit die Tiersymbolik des Löwen in besonderer Weise mit dem Wirken des Herzogs belegt gewesen sein.

Und was hat es mit dem lateinischen Kreuz auf dem Körper des Tieres auf sich, das bisher auf keinem der bekannten Messerscheidenbeschläge dargestellt war? Um es in seiner richtigen Ausrichtung ansehen zu können, müssen wir – wieder einmal – einen Perspektivwechsel vornehmen und die Figur um 90˚ drehen. Diese Ausrichtung entspricht im Übrigen der ursprünglichen Stellung des Beschlages an einer Messerscheide. Das lateinische Kreuz wird durch die Vertiefungen an den Balkenenden zusätzlich betont. Art und Weise, vor allem aber die Positionierung auf dem Körper des Tieres sprechen allerdings eher für eine spontane, allenfalls erklärende oder freie Komposition. Denn das Kreuz direkt auf dem Körper, quasi als optischer Fixierpunkt, ist weder in der spätwikingerzeitlichen noch in der christlichen Bildinhalten schon lange verpflichteten westeuropäischen Kunst üblich gewesen. Es spricht trotz der Singularität aber nichts dagegen, in diesem Kreuz tatsächlich ein oder sogar besser "das" christliche Symbol zu sehen.

Es vereinen sich also augenscheinlich in dem Stück aus Hohenbrünzow formale, bildnerische und stilistische Merkmale Skandinaviens, des Salierreiches und vielleicht auch der westslawischen Kultur. Produktionsorte für diese "Massenware", die unter der Typenbezeichnung der "dreieckigen Messing- und Bronzebeschläge mit Tiermotiv und besonders langen Befestigungsflügeln" (Gruppe 4, Variante II bzw. III nach TIMPEL) firmiert, können nach den Untersuchungen durch H. STEUER (1989, 236) Kölner Werkstätten bzw. solche im Osten des Reiches um den Harz gewesen sein. Jedenfalls legt dies die Verbreitung der tiergestaltigen Scheidenbeschläge nahe (zur Verbreitung siehe GABRIEL 1991, 206 Abb. 206; für Mecklenburg-Vorpommern zuletzt SCHANZ 2009, 225 Abb. 8). In der skandinavischen Archäologie werden dort gefundene und ähnliche Messerscheidenbeschläge fast regelhaft als "ethnische Marker" und Indikatoren slawischer Besitzer angesehen (dänisch: vendisk knivskedebeslag). Allerdings riet schon STEUER (1989, 234) ausdrücklich von dieser Gleichung ab. Gleichwohl findet diese Interpretation nach wie vor Anwendung (wie z. B. bei jüngst entdeckten Funden aus Sigtuna, Bornholm und anderen Orten). Der Interpretationsvorschlag von I. GABRIEL, die aufwändigen Messerscheiden mit Tierdarstellungen als mögliche Insignien der mit den neuen, aus dem Westen eingewanderten Landesherren kooperierenden slawischen Eliten anzusehen, ist zwar eine mögliche, wenngleich bislang kaum belegbare Erklärung.

Dr. C. Michael Schirren

Literatur

GABRIEL 1991: Ingo Gabriel, Hofkultur, Heerwesen, Burghandwerk, Hauswirtschaft. In: Michael Müller-Wille (Hrsg.), Starigard/Oldenburg. Ein slawischer Herrschersitz des frühen Mittelalters in Ostholstein. Neumünster 1991, 181-250.

GROSS u.a. 1993: Uwe Gross, Ludwig H. Hildebrandt und Heiko Steuer, Ein Messerscheidenbeschlag der Zeit um 1200 aus Sandhausen bei Heidelberg. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 21, 1993, 71-86.

SCHANZ 2009: Elke Schanz, Das slawische Körpergräberfeld bei Basedow, Lkr. Demmin, mit einer bemerkenswert beschlagenen Messerscheide. Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 57, 2009, 207-263.

SCHANZ 2016: Elke Schanz, Der Flachsberg bei Rottmannshagen. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern, Beiheft 15, 2016, 79-109 (hier insbesondere 98-105 zu Messerscheidenbeschlägen)

STEUER 1989: Heiko Steuer, Mittelalterliche Messerscheidenbeschläge aus Köln. Hammaburg NF 9, 1989 (Festschrift Wolfgang Hübener), 231-246.

STEUER 1992: Heiko Steuer, "Objektwanderung" als Quelle der Kommunikation. Die Möglichkeiten der Archäologie. In: Kommunikation und Alltag in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Veröff. des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit Nr. 15. Österreich. Akad. Wiss. Phil. Hist. Kl. Sitzungsberichte 596. Bd. (Wien 1992) 401-440.

STIGE 2016: Morten Stige, The lion in Romanesque art, meaning or decoration? Tahiti (Taidehistoria tieteenä – Konsthistorien som vetenskap) 04/2016.

TIMPEL 1987: Wolfgang Timpel, Mittelalterliche Messerscheidenbeschläge in Thüringen. Alt-Thüringen 22/23, 1987, 275-295.

BERENTSEN / FUGLESANG 2001: Agnethe Berentsen Harket und Signe Horn Fuglesang, Romanesque animal ornament. In: Michael Müller-Wille u. Lars Olof Larsson (Hrsg.), Tiere. Menschen. Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Hamburg 2001, 195-213

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