Von hohen Mauern umgeben – das Untersuchungsgefängnis in Wismar von 1880

Denkmal des Monats

Abb. 1. Gustav Hamann, Entwurf für ein „Gefangenhaus beim Amtsgericht zu Wismar“, um 1880.Details anzeigen
Abb. 1. Gustav Hamann, Entwurf für ein „Gefangenhaus beim Amtsgericht zu Wismar“, um 1880.

Abb. 1. Gustav Hamann, Entwurf für ein „Gefangenhaus beim Amtsgericht zu Wismar“, um 1880.

Abb. 1. Gustav Hamann, Entwurf für ein „Gefangenhaus beim Amtsgericht zu Wismar“, um 1880.

Das erste im Jahr 2018 neu als Denkmal ausgewiesene Bauwerk in Mecklenburg-Vorpommern ist das Untersuchungsgefängnis in der Altstadt von Wismar. Um 1880 wurde der zwischen der Georgen- und der Ruine der Marienkirche gelegene und mit seinem Grundstück an den Fürstenhof angrenzende Bau errichtet. Der Entwurf stammt vom späteren Geheimen Baurat Gustav Hamann (1852-1919) (Abb. 1). Unbekannt ist, ob und in welchem Umfang ein frühestens seit 1850 dort vorhandener Pferdestall, der den gleichen Grundriss wie der neue Bau aufgewiesen hatte, in die Arbeiten einbezogen worden ist. Aus funktionalen Gründen erhielt das Untersuchungsgefängnis seinen Ort direkt neben dem seit 1879 als Amtsgericht genutzten, jedoch wesentlich älteren Fürstenhof. Bis zur Schließung 2014 diente es zuletzt als Jugendarrest mit 16 Haftplätzen. Für die weitere Nutzung sind eingehende Untersuchungen und Planungen eingeleitet.1

Verschlossen und abweisend

Dass das historisch wertvolle und gut erhaltene Bauwerk erst kürzlich als Einzeldenkmal ausgewiesen wurde – also bislang nicht als solches gekennzeichnet war - hat neben einem ganz pragmatischen Umstand zwei weitere Gründe. Der pragmatische Umstand ist, dass die gesamte Wismarer Altstadt in ihrer Gesamtheit seit 1998 als Flächendenkmal und seit 2002 gemeinsam mit der Altstadt von Stralsund als UNESCO-Weltkulturerbe Schutzstatus genießt. Diesen hohen Schutzstatus besitzt Wismar in erster Linie als von der Hanse geprägte und durch zahlreiche mittelalterliche Kirchen und Bürgerhäuser bestimmte Stadt. In diesem Umfeld springt ein eher eigenartiger Bau aus dem Ende des 19. Jahrhundert wenig ins Auge. Zudem wirkt ein Untersuchungsgefängnis aufgrund seiner Funktion erst einmal verschlossen und undurchdringlich. Nur Wenige haben den Bau aus nahe liegenden Gründen von innen gesehen oder den von hohen Mauern umgebenen Hof zum Freigang erlebt.

Der sich auf einer Grundfläche von ca. 24 x 11 Metern mit seiner Längsseite direkt an der Grundstücksgrenze erhebende, circa 13 Meter hohe, helle Putzbau erhält zudem durch rechts und links angefügte Mauern einen abweisenden Eindruck. Geschosshohe, verputzte Steinmauern mit abgeschrägter Ziegelbedachung fassen auch das weitere Grundstück ein (Abb. 2-5). Den Massivbau gliedern auf der Straßenseite im Erdgeschoss hochrechteckige Fensteröffnungen, wie es bei städtischen Wohn- und Geschäftshäusern üblich ist. Im Obergeschoss hingegen reihen sich hoch gesetzte, niedrige und oben mit einem Segmentbogen abschließende Öffnungen aneinander. Alle Öffnungen sind durch Gitter aus Eisenstäben geschlossen.

Eisengitter und Zellentüren mit Sichtklappe

Für das Obergeschoss wird durch diese Fassadengestaltung die enge Reihung der dahinter liegenden Arrestzellen ablesbar. In diesem Geschoss sind die ursprünglichen, im Laibungsmauerwerk vertikal verankerten Vierkant-Eisengitter erhalten. Dahinter befinden sich die ebenfalls bauzeitlichen, ins Mauerwerk eingelassenen, gusseisernen Fenster von jeweils sechs Feldern, die sich heute vor den eigentlichen Fenstern befinden (Abb. 6). Auffällig für einen in solcher Art eher schlicht gestalteten Putzbau ist es, dass der Ortgang und der in Teilen ausgebildete Giebelfuß an der rechten Stirnseite durch vorspringende Backsteine als Gesimse hervorgehoben sind. Da der heutige Putz in der Nachkriegszeit hinzugefügt wurde und daher wahrscheinlich dicker aufträgt als ursprünglich, ist anzunehmen, dass die Backsteingliederung durch die Gesimse ursprünglich stärker sichtbar hervorgetreten war. Diese Gestaltung greift die durch Terrakottaschmuck und schmale Gesimse geprägte Fassadengestaltung des Fürstenhofes auf. Sie modifiziert diese in schlichterer Weise für die im Verhältnis zum Amtsgericht bescheidenere Bauaufgabe eines Untersuchungsgefängnisses und bindet den neuen Bau gestalterisch in den zugehörigen städtebaulichen und funktionalen Zusammenhang ein (Abb. 7).

Im Inneren ist die bauzeitliche Grundstruktur, bestehend aus Mittelgang und seitlich angrenzenden Zellen und Räumen, erhalten (Abb. 8). Vollständig vorhanden sind im Obergeschoss die Zellentüren mit oberer Sichtklappe, ausgebildet als durch Flacheisen verstärkte Rahmenkonstruktionen mit Blechbeschlag auf der Innenseite und Stahlzargen. Ausgestattet sind sie mit Durchreichen samt Klappe und je zwei äußeren Fallriegeln (Abb. 9). Zur frühen Ausstattung gehört auch die offene, ohne Setzstufen ausgebildete Eisentreppe mit feingliedriger Stabwerkbrüstung (Abb. 10).

Das moderne Rechtssystem und das Vorbild Preußen

Die Errichtung des Untersuchungsgefängnisses in Wismar steht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Beitritt des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin zum Deutschen Reich und dem daraufhin 1879 übernommenen Gerichtsverfassungsgesetz.2 Ein neues Ordnungssystem wurde gültig, das sich bereits über Jahrzehnte angekündigt hatte und sich nun durch moderne Verfahrensweisen und Institutionen Bahn brach. Das Gerichtswesen erhielt in allen deutschen Staaten die Einteilung in Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte. Den Amtsgerichten wurden als notwendige Einrichtungen Untersuchungsgefängnisse zugeordnet, die in vielen Fällen in unmittelbarer Nähe dieser Instanzen neu errichtet wurden.

Damit kam ein seit dem 18. Jahrhundert andauernder Prozess zu seinem Anschluss, in dem die bis dahin vorherrschenden Leibesstrafen durch Freiheitsstrafen ersetzt wurden und in dessen Verlauf es auch in Mecklenburg und Vorpommern zur Errichtung erster Zuchthäuser gekommen war.3 Bis dahin waren lediglich Bauten der ehemaligen städtischen oder landesherrlichen Verteidigungsanlagen, wie Türme, Tore, Kasematten oder – wie in Wismar - ältere Teile des Rathauses, für diesen Zweck genutzt worden. Eine Beachtung menschlicher und hygienischer Mindeststandards oder eine Unterscheidung nach der Schwere der Verbrechen erfolgte nicht. Häufig dienten die Einrichtungen ohne Unterscheidung auch als Armen-, Irren-, Waisen- und Krankenhäuser.4

Führend in dieser rechtspolitischen Entwicklung, die auch Einfluss darauf nahm, in welcher Weise Bauten neu errichtet oder umgestaltet wurden, waren das preußische Staatswesen im Allgemeinen und hinsichtlich der architektonischen Aspekte die preußische Bauverwaltung.5 Nach dem Beitritt zum Deutschen Reich und der Aneignung der jeweiligen Gesetzgebung für die verschiedenen hoheitlichen Aufgaben übernahmen viele deutsche Staaten die Vorbilder und Muster der preußischen Bauverwaltung,6 so auch die Mecklenburger Großherzogtümer.

Vorgeschrieben war, unter welchen baulichen Bedingungen die Verwahrung von Häftlingen zu erfolgen hatte. Die Einrichtung eines Untersuchungsgefängnisses hatte Einzelzellen für den Arrest, eine Koch- und Waschküche, einen Kranken- und Arbeitsraum, eine Speisekammer und eine Wärterwohnung vorzusehen. Der obligatorische Abort wurde in der Regel im Keller angeordnet – dort ist er noch in Wismar zu finden. Die Erschließung erfolgte über einen mittleren Korridor. Soweit räumlich möglich, standen nach Geschlechtern getrennte Hofflächen zur Verfügung.

Mustervorlagen für Gefängnisse

Bei der Gestaltung des Untersuchungsgefängnisses Wismar ist die Übernahme der preußischen Vorbilder und Muster unverkennbar. Ein Vergleich mit einem Handbuch von 1891, das auf Grundlage der preußischen Vorbilder musterartig den Bau von Untersuchungsgefängnissen und Strafanstalten bis ins Detail vorstellt, wird die Herkunft der gestalterischen Grundformen, die zu dieser Zeit bereits seit Jahren wirksam waren, deutlich.7 So wird hinsichtlich der räumlichen Anordnung als Beispiel der Lageplan des Amtsgerichts Merseburg samt Gefängnis gezeigt, der starke Parallelen mit der Ausführung in Wismar aufweist. Gericht und Gefängnis befinden sich auf einem durch Mauern abgeschlossenen Gelände. Es gibt nach Funktionen getrennte Höfe für den Freigang der Gefangenen und die Notwendigkeiten des Wirtschaftsbetriebs (Abb. 11).8 Wie in Wismar ausgeführt, wird für den Baukörper als typisch „in der Grundform ein längliches Rechteck mit einer Mittelcorridor-Anlage“ vorgestellt,9 das eine annähernd gleiche Anordnung der Arrestzellen und weitere Nutzräume samt Wärterwohnung umfasst. Auch die musterhaft im Handbuch abgebildeten Einzelformen, wie „die innere Einrichtung einer Zelle“ (Abb. 12),10 die erhöht „1,5 m über Fussboden angebrachten Zellenfenster“ mit Segmentbogen aus Eisen (Abb. 13),11 die offene Treppe ohne Setzstufen „mit Wangen aus Eisen“ (Abb. 14)12 und die als Rahmenwerk gearbeiteten „Zellenthüren … mit Beobachtungs-Oeffnung“ (Abb. 15)13 sind in Wismar umgesetzt worden und verweisen auf das preußische Vorbild.

In Kontakt bleiben

Über einen Zeitraum von 130 Jahren sorgte das Untersuchungsgefängnis in Wismar durch Gitter und Mauern erfolgreich dafür, dem unmittelbaren Freiheitsdrang der Insassen Grenzen zu setzen. Doch stellte die Lage inmitten der Stadt direkt an der Straße ein fortwährendes Problem hinsichtlich unerwünschter Kontaktaufnahmen dar. Eine Zeit lang sollten Sichtblenden vor den Arrestzellenfenstern die Verständigung der Gefangenen mit Personen auf der Straße erschweren – was aber nicht lange beibehalten wurde, da es die Belichtung und Belüftung der kleinen Räume verhinderte. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein stellte die Kontrolle der Kommunikation der Gefangenen – sowohl diejenige nach außen als auch diejenige von außen - für die Betreiber des Gefängnisses ein ungelöstes Problem dar. Zuletzt machte ein - nach wie vor vorhandenes – Schild an der Fassade die Passanten darauf aufmerksam: „Nicht genehmigte Kontaktaufnahmen zu den Arrestanten werden ordnungsrechtlich verfolgt“ (Abb. 16). Es wäre schön, wenn neben den deutlich erkennbaren Merkmalen dieses zu großen Teilen hinter Mauern versteckten Bauwerks auch dieses Detail für die Zukunft bewahrt würde – um bei neuer Nutzung in Kontakt mit der Vergangenheit bleiben.

Dr. Jörg Kirchner


Fußnoten

1 Historische Planzeichnungen und historische Fotografien sowie schriftliche Quellen aus dem Stadtarchiv Wismar sind durch das Büro Freiort, Boltenhagen, recherchiert und in einer Denkmalpflegerischen Zielstellung, Vorabzug 30.11.2017, zusammengestellt worden.

2 Anke Johns, Nils Jörn, Gerichtswesen, in: Landeskundlich-historisches Lexikon Mecklenburg-Vorpommern, herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Rostock e. V. und dem Landesheimatverband Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 2007, S. 204-207.

3 Andreas Wagner, Zuchthaus, in: Landeskundlich-historisches Lexikon Mecklenburg-Vorpommern, herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Rostock e. V. und dem Landesheimatverband Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 2007, S. 746-747.

4 Nikolaus Pevsner, Funktion und Form. Die Geschichte der Bauwerke des Westens, Hamburg 1998, Kapitel: Gefängnisse, S. 159-168.

5 Carl Krohne, Rudolf Uber (Hrsg.), Die Strafanstalten und Gefängnisse in Preußen, 1. Teil, Berlin 1901, S. VII ff.

6 Hans-Joachim Graul, Der Strafvollzugsbau einst und heute, Düsseldorf 1965, S. 95, nennt erste Musterbauten der 1830er Jahre und die Publikation: Bauausführungen des Preußischen Staates, Band II, Berlin 1844/1848.

7 Ludwig Klasen (Hrsg.), Grundriss-Vorbilder von Gebäuden für Justizzwecke. Handbuch für Baubehörden, Architekten, Ingenieure, Baumeister, Reihe: Grundriss-Vorbilder von Gebäuden aller Art, Abth. XIII, Leipzig 1891.

8 Vgl. ebenda, Blatt 163.

9 Ebenda, S. 1721.

10 Ebenda, S. 1726.

11 Ebenda, S. 1724, 1727.

12 Ebenda, S. 1725, 1728.

13 Ebenda, S. 1724, 1727.

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