Das Bankgebäude Tribseer Straße 1 in Stralsund

Denkmal des Monats Juni 2023

Ein „Meisterstück Stralsunder Gewerbefleißes und handwerklicher Qualitätsarbeit“*

Abb. 1. Stralsund, Tribseer Straße 1, Deutsche Bank, 2012.Details anzeigen
Abb. 1. Stralsund, Tribseer Straße 1, Deutsche Bank, 2012.

Abb. 1. Stralsund, Tribseer Straße 1, Deutsche Bank, 2012.

Abb. 1. Stralsund, Tribseer Straße 1, Deutsche Bank, 2012.

Von Weitem sichtbar, erhebt sich am südwestlichen Eingang in die Stralsunder Altstadt das ehemalige Reichsbankgebäude (Abb. 1), das in seiner Backsteinbauweise und markanten Form an mittelalterliche Torbauten erinnert. Mit den vier hohen Türmen setzt das Gebäude städtebaulich einen besonderen Akzent an der vielbefahrenen Kreuzung von Knieperwall und Tribseer Damm. Einst befand sich an diesem Standort das Tribseer Tor, das 1878 im Zuge der Entfestung abgerissen worden war.

Die Deutsche Reichsbank war als staatliches Finanzinstitut 1876 in Berlin gegründet worden. In den Folgejahren eröffneten in allen größeren deutschen Städten weitere Filialen und 1892 entstand auch in Stralsund eine Zweigstelle, die ihren Sitz zunächst in der Badenstraße 16 hatte. Die Pläne stammten vom damaligen Hausarchitekten der Reichsbank, Max Hasak. Als die Räume für den Geschäftsbetrieb nicht mehr ausreichten, stellte die Stadt der Reichsbank 1925 das Grundstück in der Tribseer Straße für einen Neubau kostenlos zur Verfügung. Die Standortwahl führte zunächst allerdings zu langanhaltenden Diskussionen über das Für und Wider des Projekts. Die Gegner brachten städtebauliche Gründe ins Spiel: die Blickbezüge in die Straßeneingänge der Altstadt würden durch den Bau verlorengehen, was die Übersichtlichkeit gefährde und den Verkehr behindere. Die Gruppe der Befürworter um Oberbürgermeister Carl Heydemann hingegen vertraute auf die moderne Stadtplanung, die „heute dem Verkehr Richtwege durch Gebäude und Anlage von Flächen“1 gebe. So ein wichtiges Institut wie die Reichsbank gehöre in den Mittelpunkt des Verkehrs und müsse sowohl architektonisch wirken als auch die richtige Sicht gewähren, um das Stadtbild in mustergültiger Weise zu verschönern.2 Zudem erhoffte man sich durch das Prestigeprojekt eine Ankurbelung der einheimischen Wirtschaft und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen für eine große Zahl lokaler Baubetriebe. Dem Neubau wurde schließlich zugestimmt und Anfang 1926 die Entwurfsplanung bestätigt (Abb. 2). Im April des gleichen Jahres begannen die Ausschachtungsarbeiten, Ende Mai 1927 war das Gebäude fertiggestellt (Abb. 3).

Die Planzeichnungen sind namentlich von Wolff und Grantz signiert. Der Architekt Heinrich Wolff war seinerzeit Baudirektor der Reichsbank in Berlin, unter seiner Leitung entstanden u. a. die Filialen in Königsberg, Erlangen, Dresden, Frankfurt am Main und Koblenz. Wie groß sein Einfluss auf das Stralsunder Reichsbankgebäude war bzw. auf wen der Entwurf letztlich zurückgeht, ließ sich abschließend nicht klären. Einem einzelnen Architekten können die Pläne wohl nicht zugewiesen werden. In der Rede anlässlich der Eröffnung des Gebäudes wird vielmehr das Baubüro in Berlin als „intellektuelle Urheberin“ bezeichnet.3 Örtlicher Bauleiter in Stralsund war der Regierungs- und Baurat Willi Palaschewski, der neben Stralsund auch die Reichsbank-Neubauten in Magdeburg und Berlin betreute.

Das Bankgebäude steht als solitärer Baukörper auf einem weitläufigen Eckgrundstück im Eingangsbereich der Tribseer Straße. Es ist viergeschossig mit hohem Satteldach, die Hauptfront wird durch die beiden seitlichen Polygonaltürme mit ihren spitzen Helmdächern und das mittige Rundbogenportal betont. Mit der Verwendung des in den 1920er Jahren wieder populär gewordenen Materials Backstein knüpfte man bewusst an das hansische Bauerbe an. Und auch in der äußeren Gestalt sollte das Gebäude den historischen Vorbildern in der Altstadt nicht nachstehen, sondern sich „in seiner ganzen Haltung der charaktervollen Eigenart der alten Stralsunder Baukunst anpassen“.4 Dieser Vorgabe entsprachen die Architekten mit der gewählten traditionalistischen Formensprache.

Einzigartig ist die in großer Vollständigkeit erhaltene Gestaltung des Inneren, hier sind insbesondere die Schalterhalle, der Windfangbereich sowie die beiden Treppenhäuser im östlichen und westlichen Turm hervorzuheben. Der Haupteingang befindet sich in einem eingeschossigen Vorbau, der durch das rundbogige Portal zugänglich ist. Über eine dekorativ mit Messingblech beschlagene Drehtür (Abb. 4) gelangt der Kunde in die geräumige Schalterhalle, die noch in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild erlebbar ist (Abb. 5). Die Ausstattung dieses öffentlichen Bereichs wird von der soliden Materialität der Baustoffe ebenso geprägt wie vom modernen Design und technischen Neuerungen der 1920er Jahre: An den Längs- und Schmalseiten ist der Raum durch hohe Wandpfeiler aus Kirchheimer Muschelkalk gegliedert, denen schmale Rundpfeiler mit floral dekorierten Kapitellen vorgelegt sind (Abb. 6); die Wandflächen der Schalterbereiche, die Paneelzonen und die profilierten Türrahmen sind in einem etwas helleren Natursteinton abgesetzt, der Fußboden mit Solnhofener Platten belegt. An der Nordseite dringt durch die in hohe, schmale Bahnen gegliederten Öffnungen Tageslicht in den Raum, die modern gestalteten, aus bleiverglasten Rauten bestehenden Fenster sind farbig akzentuiert (Abb. 7). Die Decke erhält durch geometrischen Stuckdekor aus Kreisen und Quadraten eine flächige Gliederung.

Ein besonderer Blickfang sind die drei die Mittelachse des Raums betonenden hohen, mehrarmigen Messinglampen von Schwintzer und Gräff (Abb. 8), einem der damals renommiertesten Unternehmen in der Produktion von Beleuchtungskörpern. Von dem Berliner Betrieb wurde u. a. die berühmte Tischleuchte WG 24 nach dem Entwurf von Wilhelm Wagenfeld (1924) ausgeführt. Die elektrische Uhrenanlage mit der noch heute im Schalterraum erhaltenen Wanduhr stammt von der Berliner „Normalzeit G. m. b. H.“, dem führenden Hersteller von Normaluhren mit automatischer Zeitkontrolle.

Neben Firmen aus Berlin, Rostock, Hamburg und Stettin waren viele alteingesessene Stralsunder Betriebe an der Bauausführung beteiligt. Dazu zählten das Bauunternehmen Albert Viernow, die Möbeltischlerei Mackenthun, die Firma C. A. Beug, der Glaser Thoms (Bleiverglasung), der Maler Drews, die Firma Heinrich Stein (Massivtreppen), die Tischler Dankwardt (Fenster) und Wahlström (Türen). Abgesehen von einer zeitweiligen Entlastung, die das große Bauprojekt für den Stralsunder Arbeitsmarkt bedeutete, wurde es damit auch zum „Meisterstück Stralsunder Gewerbefleißes und handwerklicher Qualitätsarbeit“.5

Das Gebäude wird seit seiner Errichtung kontinuierlich als Bank genutzt. Seit den 1990er Jahren ist es Sitz der Stralsunder Filiale der Deutschen Bank. Aufgrund seiner qualitätvollen Gestaltung ist das Bankgebäude ein bedeutendes Denkmal für die Architekturgeschichte und die angewandte Kunst in der Hansestadt Stralsund im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Sabine Kahle

*Der Artikel basiert auf einem von der Verfasserin publizierten Katalogtext, in: Denkmalplan Stralsund. Recherchen und Analysen für die Pflege des Welterbes (hrsg. im Auftrag der Hansestadt Stralsund. Der Oberbürgermeister, untere Denkmalschutzbehörde; Thomas Helms Verlag), Schwerin 2013. S. 100-101


1 Stralsundische Zeitung 1925, Nr. 145, 23.6.1925

2 Stralsundische Zeitung 1925, Nr. 145, 23.6.1925

3 Zentralblatt der Bauverwaltung 1939, 59. Jg.

4 Stralsundische Zeitung 1925, Nr. 145, 23.6.1925

5 Stralsundische Zeitung 1927, Nr. 123, 28.5.1927

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