Ein Giebelhaus in Parchim - Das Haus Lindenstraße 6 bekommt eine neue Nutzung

Denkmal des Monats September 2019

Abb. 1. Parchim, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Lindenstraße 6, ehemaliger Speicher, 2015.Details anzeigen
Abb. 1. Parchim, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Lindenstraße 6, ehemaliger Speicher, 2015.

Abb. 1. Parchim, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Lindenstraße 6, ehemaliger Speicher, 2015.

Abb. 1. Parchim, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Lindenstraße 6, ehemaliger Speicher, 2015.

Die Stadt Parchim zählte um 1600 neben Rostock und Wismar zu den bedeutendsten Handelsstädten im Herzogtum Mecklenburg. Zahlreiche Fachwerkbauten haben sich im Stadtbild aus dieser Zeit der wirtschaftlichen Prosperität erhalten, die zu den herausragenden Baudenkmalen dieser Kategorie in Mecklenburg gehören. In ihrer Entwicklung stehen sie in engem Zusammenhang mit den Bauten der Prignitz und der Stadt Schwerin; sie zeigen auch künstlerischen Einfluss aus Mitteldeutschland, etwa in der Verwendung der Ziermotive. Nirgendwo sonst in Mecklenburg sind zudem aus dieser Zeit noch so viele Gebäude mit Fachwerkinschriften zu finden, die vom Stolz ihrer damaligen Eigentümer erzählen.

Zahlreiche Giebelhäuser, beispielsweise das sog. Zinnhaus in der Langen Straße von 1612 oder das Kontorhaus Lindenstraße 3 von 1583 folgen der im Mittelalter und in der frühen Neuzeit üblichen Geschossständerbauweise, die wir etwa auch aus Wismar oder Schwerin kennen.

Das Gebäude Lindenstraße 6, an der Nordseite des Alten Markts gelegen, ist städtebaulich besonders markant, korrespondiert sein Backsteingiebel doch mit dem des gegenüberliegenden Rathauses. Als Eckgebäude weist es mit seiner zur Straße Marstall ausgerichteten Traufseite eine besonders reich verzierte Fachwerkfassade auf (Abb. 1-2). Es ist ein laut Inschrift 1604 in Geschoßständerbauweise errichtetes Dielenhaus mit bereits ursprünglich massiver Giebelfassade. Diese wurde 1902 in annähernd gleicher geschweifter Form wie sein fotografisch überlieferter Vorgänger erneuert.

Der Keller weist ein Tonnengewölbe auf, die innere Struktur teilt sich in Durchfahrt, Diele und Kontorbereich mit anschließender Küche. Über eine Galerie wurden ursprünglich sowohl die zu Wohnzwecken genutzte obere Etage als auch der ehem. Seitenflügel erschlossen, der wohl erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts beim Bau des Nachbargebäudes Marstall 1 abgebrochen wurde, so legt es die Zählung des Fachwerkabbundes nahe. Der ehemalige Speicherboden wurde erst im 18. Jahrhundert mit einer Gaube versehen; die Beschickung mit Waren erfolgte bis dahin über die Diele. Kleine Schiebeluken, wie sie auch in der Mittelstraße 12/Rosenstraße 9 von 1588 nachgewiesen sind, belüfteten den Speicherboden (Abb. 3).

Das Fachwerk zeigt Fächerrosetten (Abb. 4) in variierenden Formen und eine Inschrift auf dem Schwellenbalken des Speichergeschosses: PSAL:XC DER HERR UNSERGOT SEI VNS FREVNTLICH UND FÖRDERE DAS WERCK VNSERER HENDE BEI VNS IA DAS WERCK UNSER HENDE WOLT ER FÖRDEREN PROV: XIV WER DEN HERREN FÜRCHTET DER GEHET AVF RECHTER BAHN MDC:IV (Abb. 5). Im Nachbargebäude Marstall 1 wurde ein weiterer Inschriftbalken gefunden, der möglicherweise vom ehemaligen Seitenflügel des Giebelhauses stammt und bei der Errichtung im 19. Jahrhundert wiederverwendet wurde (Abb. 6).

Nach verschiedenen Ansätzen, u.a. sollte 2008 hier das städtische Museum untergebracht werden, gelang es der Parchimer Wohnungsbaugesellschaft 2015 auf Initiative des Rahmenplaners in Zusammenarbeit mit dem LAKD ein sinnvolles Nutzungskonzept zu finden. Dieses sieht nach Vorbild des Derz’schen Hauses in der Mühlenstraße 48 in Güstrow ein barrierefreies inklusives Konzept in einem Denkmal mit modernem Ergänzungsbau als Ort des Wohnens und der Begegnung vor.

Dank der vorbereitenden und begleitenden Bauforschung konnte erstmals in Parchim ein Giebelhaus dieser Form mit seinen für die Hauslandschaft Mecklenburgs so wichtigen Eigenschaften vergleichend untersucht werden. Giebelständige Dielenhäuser mit seitlich angeordneter Durchfahrt und erhaltener Pflasterung sind ungewöhnlich und hier offenbar der geschlossenen historischen Parzellenstruktur und Nutzung als Dielenspeicherhaus geschuldet, vergleichbar etwa der Situation in Perleberg, Schuhstraße 23. Üblicher sind eher Giebelhäuser mit Mittelportal, wie Lindenstraße 3 in Parchim (Abb. 7). Der massive Giebel stellt in Parchim angesichts der Vielzahl von Fachwerkgiebeln ebenfalls eine Besonderheit dar.

Die historische Nutzungsstruktur und Ausstattung der Giebelhäuser in Parchim ist angesichts der erhaltenen Beispiele und der geringen Befunddichte bislang nur schwer nachzuvollziehen. So konnten erstmals hölzerne Gesimsprofile am Rähm des Kontorzimmers und in mehreren Räumen Begleitstrichmalereien nachgewiesen werden. Hinter dem Kontorzimmer befand sich die Küche mit der Herdglocke. Im Raum über der Durchfahrt hat sich ein aus quadratischen Bodenplatten bestehender Ziegelboden erhalten (Abb. 8), ähnlich dem des Derz’schen Hauses in Güstrow. Bezüglich der Erschließung der oberen Etage über eine Galerie muss zur Verdeutlichung etwa auf Wismarer Beispiele oder die Puschkinstraße 36 in Schwerin verwiesen werden. Jener bald nach 1572 errichtete Fachwerkbau bietet den engsten Vergleich zum Parchimer Giebelhaus. Auch wenn seine Fassade um 1800 erneuert wurde und der Kemladen jünger datiert wird (1613d), so zeigt doch die Innenstruktur mit Diele, Kontorzimmer und Galerie sehr vergleichbare Elemente auf (Abb. 9).

Denkmale und historische Stadtstrukturen werden in zunehmendem Maße als wichtiger Imagefaktor für Standortentscheidungen der Wirtschaft und als Alleinstellungsmerkmal in der Konkurrenz der Städte untereinander betrachtet. Diese zahlreichen Befunde bieten nun eine einmalige Chance für die Stadt Parchim, diese Aussagen zur Nutzung des Gebäudes in der Renaissance auch in gebührender Weise einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Da insbesondere historische Fachwerkstädte bei Touristen beliebt sind, verwundert es, dass es in Mecklenburg-Vorpommern bisher leider keine Anbindung an die so beliebte Deutsche Fachwerkstraße gibt. Angesichts des touristischen Potentials von Parchim ist hier dringend Abhilfe zu schaffen, um diese herausragenden Fachwerkbauten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Einen ersten Schritt in diese Richtung unternehmen die Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern und das LAKD am 23.10.2019 mit dem Gebäude Lindenstraße 6 in Parchim, welches in der ersten Veranstaltung der für das Bundesland geplanten Gesprächsreihe "Denkmalgespräche - Statements, Ortsbesichtigung, Diskussion" um 15:00 Uhr öffentlich vorgestellt wird.

Dr. Jan Schirmer

Karte Parchim

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