Als die Recknitz-Brücke zum Bindestrich wurde. Die unfreiwillige Fusion zwischen dem mecklenburgischen Ribnitz und dem pommerschen Damgarten

Archivalie des Monats Juli 2021

Abb.: Alte Portalzugbrücke über die Recknitz zwischen Ribnitz und Damgarten, die 1936 durch eine Hubbrücke ersetzt wurdeDetails anzeigen
Abb.: Alte Portalzugbrücke über die Recknitz zwischen Ribnitz und Damgarten, die 1936 durch eine Hubbrücke ersetzt wurde

Abb.: Alte Portalzugbrücke über die Recknitz zwischen Ribnitz und Damgarten, die 1936 durch eine Hubbrücke ersetzt wurde

Abb.: Alte Portalzugbrücke über die Recknitz zwischen Ribnitz und Damgarten, die 1936 durch eine Hubbrücke ersetzt wurde

Die Recknitz bildete in ihrem unteren, zwischen Sülze und Ribnitz bzw. Damgarten fließenden Teil über Jahrhunderte die mecklenburgisch-pommersche Grenze. Das änderte sich, verwaltungsgeschichtlich betrachtet, im Juli 1945 mit der Bildung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Sie reduzierte die bisherige Grenze zwischen zwei teilsouveränen Gliedstaaten des Deutschen Reiches auf eine Grenze zwischen zwei Gebietskörperschaften, dem Kreis Rostock links und dem Kreis Franzburg-Barth bzw. dann Stralsund rechts des Flusses. Damit veränderte sich scheinbar nicht viel, denn beide Landkreise bestanden bereits seit den 1920er Jahren. Und Ribnitz als östlichste Stadt des mecklenburgischen Kreises blieb ebenso Grenzstadt wie Damgarten als westlichste Stadt des (vor-)pommerschen Kreises.

Die Situation wandelte sich mit dem Landesgesetz zur Änderung der Kreis- und Gemeindegrenzen vom 28. April 1950, durch das in der gegenwärtigen "Demokratie höherer Ordnung" große nationale Aufgaben besser bewältigt werden sollten. Deshalb trafen sich am 13. Mai 1950 in Stralsund die Landräte der beiden Kreise, um eine Zusammenlegung der beiden Stadtgemeinden zu besprechen. Ausweislich des Protokolls war der Rostocker Landrat Steudte dafür und der Stralsunder Landrat Meisner dagegen, neuer Name und Sitz sollte "Ribnitz" sein.

Ersterer argumentierte, Ribnitz sei der zentrale Ort im Osten seines Kreises – nur 26 km von der Kreisstadt entfernt, mit Busverbindungen und Fähranbindung, mit mehreren Schulen und vor allem mit Industrie. Die Fusion gewähre "eine Vereinfachung, sowohl auf dem verwaltungsmäßigen wie auf dem wirtschaftlichen Sektor." Die "Weiterentwicklung der Boddenwerft und der Industrien von Ribnitz" ließe sich rund um den Ribnitzer See besser planen und gestalten, wenn sie in einer administrativen Hand läge. Das mit 5.748 Einwohnern nur gut halb so große Damgarten sei hingegen 42 km entfernt von der Kreisstadt und das Argument des Stralsunder Landrats, die Stadt sei "politisch, kulturell und wirtschaftlich das Sammelbecken des westlichen Teils des Kreises", könne "nicht anerkannt werden."

In Damgarten wurde die Situation ganz anders beurteilt. Sowohl in nichtöffentlicher als auch in öffentlicher Sitzung votierten die Stadtvertreter am 13. und 17. Juni 1950 gegen eine Vereinigung, und zwar einstimmig über die Parteigrenzen hinweg. In der nichtöffentlichen Sitzung trat zunächst Landrat Meisner vor das Plenum. Ihm war der Hinweis wichtig, dass DDR- und Landesregierung durch kommunale Zusammenlegungen auf allen Ebenen Verwaltungseinsparungen erreichen wollten. Maßgeblich seien politische und wirtschaftliche Strukturen der Gemeinden, die Idee des Zusammenschlusses basiere keinesfalls auf einem Wunsch seiner Kreisverwaltung. Anschließend positionierte sich der Direktor der 1948 gegründeten Boddenwerft, der seinen Betrieb auf das Engste mit Damgarten und dessen Verwaltung verknüpft sah. Auf dieser Recknitz-Seite fände sich das wirtschaftliche Perspektivpotenzial, während eine Verlagerung der Administration nach Ribnitz aufgrund verdoppelter Wegstrecke von der Werft und dadurch verdoppeltem Arbeitsstundenausfall ökonomisch untragbar wäre. Die Parteienvertreter griffen, angeführt von der CDU und nahezu gleichlautend gefolgt von der SED, diese Argumentation auf und erweiterten sie um unzumutbare Entfernungen für die Bevölkerung bei minimaler Verwaltungskosteneinsparung.

Die vier Tage später stattfindende außerordentliche öffentliche Sitzung diskutierte die Fusion unter der Maßgabe, dass der Verwaltungssitz in Damgarten verbleibe. Diesmal übernahm die SED die Wortführerschaft, der die CDU folgte: Bedingung für ihre Zustimmung zu dem Vorhaben sei, dass Ribnitz an Damgarten angeschlossen werde und sich die gemeinsame Verwaltung in Damgarten befände. LDP und NDPD positionierten sich in der Diskussion nicht, stimmten aber wie SED und CDU ab. Am 20. Juni beschäftigte das Thema übrigens auch die Ribnitzer Stadtverordneten. Es wurde als letzter Tagesordnungspunkt nach einer zehnminütigen Verhandlungspause mit einem fraktionsübergreifenden Antrag auf "Zusammenlegung der Städte Damgarten / Ribnitz" aufgerufen. Daher wundert das einstimmige Einverständnis zum Zusammenschluss der "Gemeinden Ribnitz / Damgarten" nicht. Am 3. Juli stand, als gäbe es keinen Dissens, der Vollzug der ursprünglichen Intention fest: "Die Stadt Damgarten verliert ihr Recht als selbständige Stadt und trägt in Zukunft den Namen Ribnitz-Damgarten." Am 5. Juli fanden die offiziellen Feierlichkeiten "dieses denkwürdigen Ereignisses" im Einheitshaus Damgarten statt.

Sicher lässt sich über die Sinnhaftigkeit der Fusion trefflich streiten. Anders als gelegentlich kolportiert dürfte die neue Doppelstadt eines eher nicht gewesen sein: der Versuch, mit der Grenze zwischen Mecklenburg und Vorpommern auch die Erinnerung an Pommern auszulöschen. Die Argumentation ist nicht plausibel, sie müsste gleichermaßen für Mecklenburg gelten. Und im Unterschied etwa zu "Preußisch Eylau" oder "Hessisch Oldendorf" lassen "Ribnitz" und "Damgarten" für sich keine Rückschlüsse auf historisch-territoriale Zugehörigkeiten zu. Die tradierte Grenze verschwand vielmehr erst 1952, als der Kreis Ribnitz-Damgarten aus Teilen der Kreise Rostock und Stralsund gebildet wurde.

In der 1950 gegründeten Doppelstadt stellte die Recknitz aber tatsächlich keine (Verwaltungs-)Grenze mehr dar. Die Brücken über den Fluss verbanden nunmehr die beiden Stadtteile wie der Bindestrich im neuen Städtenamen.

Dr. Matthias Manke

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