Die Alterspräsidentin eröffnet den Landtag. Die DNVP-Politikerin Klara Schleker

Archivalie des Monats Juli 2022

Abb. 1: Auszug aus der Niederschrift des Protokolls der konstituierenden Sitzung des 1. Ordentlichen Landtags von Mecklenburg-Schwerin am 14. Juli 1920 (LHAS, 5.11-2, Nr. 272, quadr. 1)Details anzeigen
Abb. 1: Auszug aus der Niederschrift des Protokolls der konstituierenden Sitzung des 1. Ordentlichen Landtags von Mecklenburg-Schwerin am 14. Juli 1920 (LHAS, 5.11-2, Nr. 272, quadr. 1)

Abb. 1: Auszug aus der Niederschrift des Protokolls der konstituierenden Sitzung des 1. Ordentlichen Landtags von Mecklenburg-Schwerin am 14. Juli 1920 (LHAS, 5.11-2, Nr. 272, quadr. 1)

Abb. 1: Auszug aus der Niederschrift des Protokolls der konstituierenden Sitzung des 1. Ordentlichen Landtags von Mecklenburg-Schwerin am 14. Juli 1920 (LHAS, 5.11-2, Nr. 272, quadr. 1)

Am 14. Juli 1920 und am 7. April 1921 standen die Protokollanten der konstituierenden Sitzungen des 1. und des 2. Ordentlichen Landtages von Mecklenburg-Schwerin womöglich vor einer kleinen Herausforderung. Der Protokollvordruck enthielt die Zeile "Der Vorsitzende Herr … eröffnete die Sitzung". Gemäß § 2 der Landtagsgeschäftsordnung hätte beim erstmaligen Zusammentritt eines neugewählten Parlamentes zunächst das älteste Mitglied, d.h. "der Altersvorsitzende", die Versammlungsleitung übernehmen sollen. Doch damit vermochte das Plenum in beiden Fällen nicht zu dienen – das jeweils älteste Mitglied war kein "Herr", sondern eine Dame.

Die Protokollanten lösten das durch Streichung und Überschreibung, so dass die Niederschrift zum 14. Juli nunmehr lautete: "Das älteste Mitglied des Hauses, Frl. Clara Schlecker, eröffnete die Sitzung". Ein dreiviertel Jahr später hieß es etwas weniger prosaisch: "Die Vorsitzende Frl. Schleker eröffnete die Sitzung". Und in der Druckfassung der Protokolle ersetzte nicht nur die modernere "Frau" das antiquiertere "Fräulein", sondern es fand sogar das Femininum Verwendung: "Die Alterspräsidentin Frau Abg. Schleker eröffnet". Doch womöglich stellte die Umwidmung der Amtsbezeichnung in "Alterspräsidentin" im Vergleich zur Amtsinhaberin selbst das kleinere Politikum dar.

Schwarzweiß Foto: Klara Schleker, undatiert (UB Rostock, Nachlass Käthe Schirmacher, Nr. 1004/119)Details anzeigen
Schwarzweiß Foto: Klara Schleker, undatiert (UB Rostock, Nachlass Käthe Schirmacher, Nr. 1004/119)

Abb. 2: Klara Schleker, undatiert (UB Rostock, Nachlass Käthe Schirmacher, Nr. 1004/119)

Abb. 2: Klara Schleker, undatiert (UB Rostock, Nachlass Käthe Schirmacher, Nr. 1004/119)

Klara Schleker wurde am 3. Juni 1852 auf Gut Grabow in der Ostprignitz als mittleres der fünf Kinder des Besitzerehepaares geboren. Ihre Schulbildung erhielt sie durch Unterricht auf dem Gut der Eltern, deren Haushalt sie nach der ca. 1869 erfolgten Übersiedlung nach Rostock führte. Seit 1881 engagierte sie sich im sozialen Bereich, seit 1893 auch politisch. Zum Zeitpunkt der Wahl in den Landtag lebte sie bereits seit vielen Jahren in Marlow, ihr Beruf lautete auf Schriftstellerin. Tatsächlich hatte sie neben Beiträgen für Monats- und Zeitschriften zwei Bücher geschrieben, "Die Kultur der Wohnung" (1911) und "Die Frau und der Haushalt" (1912).

Das erwähnte Politikum war weniger ihr Engagement in der Frauenbewegung bzw. der Frauenstimmrechtsbewegung, die Ende 1918 im Deutschen Reich und seinen Ländern das Frauenwahlrecht erkämpft hatte. Das Politikum war vielmehr, dass Klara Schleker in Marlow seit 1910 mit einer Frau zusammenlebte, und zwar mit einer Ikone zunächst der linksliberalen und sodann der nationalkonservativen Frauenbewegung: Käthe Schirmacher. Ungeachtet dessen ist die lange gepflegte These, die beiden Frauen seien das einzige bzw. erste offen lebende lesbische Paar in der ersten Frauenbewegung, mindestens strittig bzw. widerlegt.

Nachdem sich Klara Schleker in Mecklenburg-Schwerin 1918/19 sehr im Wahlkampf für die DNVP engagiert hatte, gab sie dem Drängen der mecklenburgischen DNVP-Frauenausschussvorsitzenden nach und kandidierte selbst für den Landtag. Als eine von fünf Frauen errang sie 1920 ein Mandat, als eine von vier 1921. Ihre beiden Landtagseröffnungen dürfen durchaus eine gewisse Singularität beanspruchen. Zum einen gilt sie, wie die "Neue Wiener Presse" würdigte, als erste Alterspräsidentin eines deutschen Landtages. Zum anderen waren ihre Eröffnungsreden keinesfalls Selbstverständlichkeiten – ihre beiden Nachfolger im 3. und 4. Ordentlichen Landtag verzichteten nämlich darauf.

In ihrer ersten Rede begrüßte Klara Schleker "die Vertreter des mecklenburgischen Volkes". Sie ging davon aus, dass sie sich in erster Linie mit wirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen haben würden, um die gegenwärtige Lage zu überwinden, das Vaterland zu stärken und "in energischer Arbeit an unserem kleinen Teile mitzutun für die Gesundung Deutschlands." In ihrer zweiten Rede musste sie konstatieren, im vergangenen Sommer von einem "Tiefpunkte unserer Entwicklung" ausgegangen zu sein: "Wir haben seitdem erfahren, daß es noch viel tiefer hinabgegangen ist sowohl von außen wie auch neuerdings von innen." Vermutlich spielte sie auf Reparationsverpflichtungen und Gebietsverluste, auf politische Instabilität und politische Radikalisierung, auf Kapp-Putsch und Ruhrkampf u.a.m. an. Ungeachtet des eher düsteren Redeauftaktes gelang ihr eine gleichermaßen optimistische wie programmatische Überleitung zur beginnenden Legislaturperiode: "Wir hoffen," so sagte sie mit Blick auf die in Mecklenburg relativ beruhigte öffentliche Ordnung, "daß dazu auch die Arbeit des jetzigen Landtages beitragen wird, und wünschen, daß eine gemeinsame Arbeit aller Parteien einsetzt zum Wohle des Ganzen mit Zurückstellung gelegentlicher eigener Wünsche."

Abgesehen von den beiden Eröffnungen trat Klara Schleker nur ein weiteres Mal an das Rednerpult, im Grunde interessierte Landespolitik sie nicht und sie liebäugelte mit einem Reichstagsmandat. Bei derart wenig Engagement muss es nicht wundern, dass die Frauen im DNVP-Landesvorstand 1924 einen aussichtsreichen Listenplatz lieber an eine Jüngere vergaben bzw. Klara Schleker von einer erneuten Kandidatur abrieten. Mit dem Mandat gingen jedoch auch die Diäten verloren, so dass sich die ohnehin angespannten Finanzen der beiden Frauen weiter verschlechterten. Vor allem aber verfiel Klara Schleker in tiefe Depressionen, die sie im Herbst 1928 zum Pflegefall werden ließen. Zuletzt wurde sie Mitte August 1930 im Schweriner Rotkreuzschwestern-Haus aufgenommen. Sie verstarb am 4. November 1932 in Schwerin, drei Tage darauf erfolgte die Grablege in Rostock.

Dr. Matthias Manke

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