Der Geist der Bücher und der Menschen ist unantastbar. Dritte Rede von Adolf Glaßbrenner, gehalten am 11. Dezember 1847 im Gewerbeverein Neustrelitz

Archivalie des Monats Januar 2024

Abb. 1: Erste Manuskriptseite der Rede von Adolf Glaßbrenner vor der Versammlung des Gewerbevereins Neustrelitz am 11. Dezember 1847Details anzeigen
Abb. 1: Erste Manuskriptseite der Rede von Adolf Glaßbrenner vor der Versammlung des Gewerbevereins Neustrelitz am 11. Dezember 1847

Abb. 1: Erste Manuskriptseite der Rede von Adolf Glaßbrenner vor der Versammlung des Gewerbevereins Neustrelitz am 11. Dezember 1847

Abb. 1: Erste Manuskriptseite der Rede von Adolf Glaßbrenner vor der Versammlung des Gewerbevereins Neustrelitz am 11. Dezember 1847

Die Neustrelitzer Heimatforscherin Annalise Wagner (1903-1986) veröffentlichte 1971 in der in Göttingen erscheinenden Zeitschrift „Carolinum“ einen fundierten Aufsatz: „Prof. Dr. Roloff und der Gewerbeverein“. Darin beklagte sie, dass Archivalien über den Neustrelitzer Gewerbeverein „nicht vorhanden“ seien. Sie habe in mehrjähriger Kleinarbeit die Fakten für den Aufsatz zusammengetragen, „um dieser bedeutenden fortschrittlichen Organisation in der Kulturgeschichte Neustrelitz ein Denkmal zu setzen.“

Die Akten des von 1846 bis 1934 in Neustrelitz wirkenden Gewerbevereins befanden sich in jener Zeit bereits im heutigen Schweriner Landeshauptarchiv. Die umfangreichen Dokumente, insbesondere Statuten, Mitglieder- und Beitragslisten, Protokolle von Vorstandssitzungen und Plenarversammlungen, Jahresberichte, Kassenberichte, Beteiligungen, Schriftwechsel und Verträge, sind inzwischen von Archivaren erschlossen und in einem auch elektronisch zugänglichen Findbuch verzeichnet worden.

Abb. 2: Porträt von Adolf GlaßbrennerDetails anzeigen
Abb. 2: Porträt von Adolf Glaßbrenner

Abb. 2: Porträt von Adolf Glaßbrenner

Abb. 2: Porträt von Adolf Glaßbrenner

Einer der Mitgründer und Akteure des Gewerbevereins war neben dem Lehrer Jacob Friedrich Roloff (1813-1877) der seit 1841 im politischen Exil in Mecklenburg-Strelitz wirkende Schriftsteller Adolf Glaßbrenner (1810-1876). In Neustrelitz verfasste er u. a. scharfzüngige politische Gedichte, die 1844 in der Schweiz anonym „von einem norddeutschen Poeten“ mit dem Titel „Verbotene Lieder“ herausgegeben wurden. Glaßbrenners Lyrik des Vormärz befasst sich, so Volkmar Steiner 2018, mit der politischen Zensur und anderen Formen der Beschränkung bürgerlicher Freiheiten sowie mit „der gefährlichen Verbindung von Narzissmus und Macht, Cäsarenwahn und gottbegnadetem Vorsehungsglauben, politischem Freund-Feind-Denken“. Der wagemutige Demokrat, der im September 1850 wegen angeblicher „kommunistischer Umtriebe“ aus Mecklenburg-Strelitz ausgewiesen wurde, wollte keine Revolution, keinen Aufstand der Straße und keine anarchistische Gewalt. Glaßbrenner sah in einem gebildeten Bürgertum den Motor für „entschiedene Reformen auf der Basis von Bürgerdruck und auf Basis weitgehender Bürgerbeteiligung“, wie Olaf Briese 2010 konstatierte. So ist auch seine Mitwirkung am Gewerbeverein Neustrelitz einzustufen, jenem bis zu 300 Mitglieder umfassenden Zusammenschluss, der sich nicht nur die „Beförderung gemeinnütziger gewerblicher Interessen“, sondern auch „die Erleichterung sittlicher und gewerblicher Ausbildung“ auf die Fahne geschrieben hatte. Bislang waren zwei Reden bekannt, die Adolf Glaßbrenner 1847 im Gewerbeverein gehalten hat. David Assur (1810-1869) veröffentlichte diese Ausführungen Glaßbrenners in seiner Zeitschrift „Neue Mecklenburgische Volks-Bibliothek“. Der Redner forderte insbesondere Handwerker, Kaufleute und andere Gewerbetreibende auf, sich ihres bürgerlichen Standes bewusst zu werden:

„Wohin Sie blicken, sehen Sie das erwachende Leben des Bürgers, und durch dieses Leben seine höhere Geltung, seine Selbstständigkeit, seinen wirklichen, menschlichen Werth. Aus dem Clubb-, aus dem Stadt-Bürger ist ein Staats-, ein Welt-Bürger geworden […]“

Glaßbrenner sah in „höherer Bildung die Grundlage zu größerer Tatkraft“, denn der Mensch sei nicht „geboren, um allem Wichtigen zuzusehen und um Untertan zu sein.“ Im Ergebnis könne der Mensch schmachvolle Vorurteile, lichtscheuen Aberglauben, verdammliche Anmaßungen und Aussperrungen, einseitige, neidische Beschränkungen, Selbstsucht und Menschenhass überwinden.

Illusorisch war seine in der ersten Vereinsrede gewagte Prophezeihung von „der millionenhändigen Industrie“ als „Mutter der Völkervereinigung“ und davon, dass „die Zeiten des Krieges und des Soldatenthums“ vorüber seien und der „blühende, himmlische Friede […] die Feuerschlünde vernagelt“ hat. Glaßbrenner appellierte an die Mitglieder des Gewerbevereins, durch Lese-Bildung und offene, freie Rede zu Erkenntnissen und Selbstbewusstsein zu gelangen und sich dabei nicht nur mit technischen und naturwissenschaftlichen Themen zu befassen, sondern auch „das Kernige, Nützliche und Schöne aus allen Fächern der Literatur in sich aufzunehmen.“

Bislang war unbekannt, dass Adolf Glaßbrenner eine dritte Rede gehalten hat. Das 16-seitige Manuskript dieser am 11. Dezember 1847 gehaltenen Rede fand der Autor vor wenigen Wochen bei seinen Recherchen zur Strelitzer Bibliotheksgeschichte. Darin beantragte Glaßbrenner die Etablierung einer „Allgemeinen Volksbibliothek“ in Neustrelitz, an der sich der Gewerbeverein beteiligen sollte. Zudem plädierte er für die Einrichtung eines „von morgens bis abends geöffneten Lesezimmers“ und eines „Journalzirkels“. Die „Mußestunden“ hier zu verbringen, sei besser und nützlicher als „im kostspieligen und immer verführenden Wirtshaus.“ Dem stimmten die Mitglieder nur teilweise zu. Sie entschieden sich für die Einrichtung einer vereinseigenen Bibliothek mit Lesezimmer sowie eines Journalzirkels.

Es ist beabsichtigt, diese dritte Glaßbrenner-Rede als Faksimile mit Erläuterungen zu veröffentlichen.

Dr. Bernd Schattinger

2024

2023

2022

2021

2020

2019

2015

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007