Die Entführung eines Königs

Archivalie des Monats Mai 2023

Zweiter Vertrag über die Freilassung des Königs Waldemar von Dänemark und seines Sohnes, 17. November 1225.Details anzeigen
Zweiter Vertrag über die Freilassung des Königs Waldemar von Dänemark und seines Sohnes, 17. November 1225.

Abb.: Zweiter Vertrag über die Freilassung des Königs Waldemar von Dänemark und seines Sohnes, 17. November 1225.

Abb.: Zweiter Vertrag über die Freilassung des Königs Waldemar von Dänemark und seines Sohnes, 17. November 1225.

Es ist in diesem Mai 800 Jahre her, dass Graf Heinrich I. von Schwerin in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit Norddeutschlands, ja, Nordeuropas rückte. Er, Lehnsmann des dänischen Königs Waldemar, dessen Herrschaftsbereich bis an Elbe und Elde reichte, stieß mit seinem Gefolge zu einer Jagdgesellschaft auf der kleinen, Fünen vorgelagerten Insel Lyö, die den König und seinen Sohn begleitete. Der Chronist berichtet, dass am Abend schwer gezecht wurde. Die Dänen sanken schließlich betrunken in einen tiefen Schlaf. Da drang Graf Heinrich in das Zelt des Königs ein, nahm ihn und seinen Sohn Waldemar gefangen und brachte die beiden Gefangenen auf sein Schiff. Seine Leute machten die Boote der Jagdgesellschaft unbrauchbar, indem sie Löcher in die Schiffsböden schlugen, dann machte man sich im Schutz der Dunkelheit davon. Tatsächlich gelang es den Entführern, ihre kostbare Beute vor den Verfolgern nach Mecklenburg zu schaffen. Sie durchquerten das Land, machten in der Burg Lenzen an der Elbe Station und überquerten schließlich die Elbe, um auf Reichsgebiet außerhalb des dänischen Machtbereichs in Dannenberg Unterschlupf zu suchen. Graf Volrad von Dannenberg hatte sich zur Unterstützung der Entführer bereit gefunden. Noch heute trägt ein alter Turm in Dannenberg den Namen „Waldemarturm“.
Dem Ideal christlichen Rittertums entsprach diese Treulosigkeit gegenüber dem eigenen Herrn gewiss nicht. Was steckte dahinter?

1222 war Heinrich von einer Pilgerfahrt in das Heilige Land zurückgekehrt. Er hatte als kostbare Reliquie einen Tropfen vom Blut Christi mitgebracht, eingeschlossen in einen Jaspis, und diese Reliquie dem Schweriner Dom zum Geschenk gemacht. Während Heinrichs Abwesenheit hatte König Waldemar Ansprüche auf Teile der Grafschaft Schwerin für seinen Enkel erhoben, dessen verstorbene Mutter Oda aus dem Schweriner Grafenhaus stammte. Sein Gefolgsmann Albrecht von Orlamünde nahm die Hälfte der Grafschaft Schwerin als Erbteil des Knaben einfach in Besitz. Heinrich muss sich hintergangen und deshalb zu Gewaltmaßnahmen berechtigt gefühlt haben. Der mecklenburgische Chronist Chemnitz hat im 17. Jahrhundert in dem Bestreben, noch ein nachvollziehbares persönliches Motiv zu präsentieren, die Behauptung aufgestellt, Heinrich habe vor der Abreise seinem Lehnsherrn den Schutz von Frau und Kindern ans Herz gelegt, Waldemar habe die Frau aber begehrt und in der Folge vergewaltigt. Da soll man als Ehemann wohl in Rage geraten!

Auf dem Hoftag in Nordhausen im Herbst des Jahres schlug Graf Heinrich vor, seine beiden Gefangenen nach einer hohen Geldzahlung dem Reich zu überstellen, das sie aber erst freilassen sollte, wenn sie auf die dänische Lehnsherrschaft südlich der Eider und in Mecklenburg verzichtet hätten. Dieser Gedanke fand Anklang. Die königlichen Gefangenen verblieben aber zunächst im Schweriner Schloss. Nun ergriff der Papst Partei und forderte die Freilassung der Gefangenen binnen eines Monats. Verhandlungen begannen, die im Juli 1224 zu einem Kompromiss führten, der von dänischer Seite aber letztlich abgelehnt wurde. Heinrich rückte daraufhin gegen Lauenburg und Ratzeburg vor. In einem Treffen bei Mölln geriet Albrecht von Orlamünde in seine Gefangenschaft, der vertriebene Graf von Schaumburg konnte durch seinen Sohn Adolf seine Herrschaft in Holstein restituieren. Die nun neu aufgenommenen Verhandlungen um die Freilassung des entführten Königs führten zu der Urkunde vom 17. November 1225, die im Bild zu sehen ist und auch als „Schweriner Vertrag“ bezeichnet wird.

Sie setzt das Lösegeld auf 45.000 Mark Silber fest. Der Goldschmuck der Königin bis auf die Krone ist abzuliefern, Geiseln müssen gestellt werden, bis die Lösegeldsumme bezahlt ist. Das Land zwischen Eider und Elbe ist dem Reich zurückzugeben, ebenso das slawische Land jenseits von Elbe und Elde mit Ausnahme der Herrschaft Rügen. Urkundenzeugen sind u.a. die Grafen Volrad von Dannenberg, Heinrich von Lüchow und Adolf von Holstein, für die dänische Seite u.a. Jakob von Mön, dessen schildförmiges Siegel sich erhalten hat. Das einzige noch anhängende Siegel ist dem Erzbischof Gerhard II. von Bremen zuzuordnen, der in der Urkunde gar nicht erwähnt wird.

Die vorgestellte Urkunde ebnete König Waldemar den Weg zurück in die Freiheit. Nach zwei Jahren, sieben Monaten und 15 Tagen Haft konnte er das Schweriner Schloss am 21. Dezember 1225 verlassen. Er hatte nicht die Absicht, sich an die eingegangenen Verpflichtungen zu halten. Das ging mithilfe des Papstes, der ihn vom geschworenen heiligen Eid entband. Die Waffen mussten sprechen. Mit der Schlacht bei Bornhöved am 22. Juli 1227 fand die dänische Herrschaft über Mecklenburg dann endgültig ihr Ende. Graf Heinrich focht auf Seiten der siegreichen Verbündeten gegen den Dänenkönig. Seine kühne Tat vom 6. Mai 1223 hatte den Anstoß gegeben zur Verschiebung der politischen Gewichte im zuvor von Dänemarks König dominierten Ostseeraum.

Dr. Andreas Röpcke

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